Alte Bäume verpflanzt man nicht

Wir schreiben das Jahr 2018, es ist Winter und es ist kalt.

Wenn man auf die Straße geht und keine Mütze auf dem Kopf hat, bekommt man das Gefühl, dass einem die Ohren abfrieren.

Der Gedanke, dass es Menschen gibt, die bei den Temperaturen auf der Straße leben ist kaum vorstellbar und man wünscht ihnen allen eine warme Wohnung.

Und dann – nehmen wir mal an sie haben eine Wohnung oder anders denken wir mal an die Menschen, die eine Wohnung haben aber auch kaum Geld besitzen, mit dem was sie haben über die Runden zu kommen.

Wir leben nicht nur im Jahr 2018 und ja es ist kalt und nein, wenn es nach Aussagen mancher Menschen geht, niemand muss frieren oder hungern.

Und doch tun sie es.

Aussagen wie, niemand muss auf der Straße leben, niemand muss hungern und niemand muss frieren, sind Unwissenheit und Oberflächlichkeit in einem, denn wer solche Aussagen tätig, hat entweder das Leben noch nicht gelebt, ist zu jung um überhaupt darüber urteilen zu dürfen oder möchte es sich erst gar nicht vorstellen, aus Angst davor, selbst mal in so eine Lage zu geraten.

Aber bleiben wir bei dem eigentlichen Thema, um das es in diesem Bericht geht.

In unserem Ennepe-Ruhr-Kreis scheint, wenn man sich mal so die Medien durchliest, gar nicht viel arme Menschen zu geben, wenn es überhaupt was davon zu lesen gibt und wenn man dann doch mal was zu lesen bekommt, sind die Menschen entweder bereits verstorben und es wurde wieder einmal aufgedeckt, wie jemand in seiner Wohnung verwahrlost ist oder auf tragische Art und Weise von uns gegangen ist.

Vorher scheint das Interesse nicht zu bestehen, warum auch – sie leben ja noch und können ja noch was aus ihrem Leben machen.

Und schon wieder sind wir vom Thema abgekommen und warum?

Weil es uns traurig macht, dass gewisse Lebenszustände einfach übersehen werden oder gar nicht gesehen werden wollen.

Wie zum Beispiel der Fall, irgendwo aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis, in dem eine ältere Person in einer Wohnung lebt, die kleiner eigentlich nicht sein kann, die diese Person aber auch nicht verlassen möchte, weil so viel Erinnerungen darin verweilen, die sie nicht messen möchte und in ihrem Alter ist eine neue Wohnung oder sogar vielleicht ein Heim nicht vorstellbar und würde für sie wie ein Todesurteil sein.

Alte Bäume verpflanzt man nicht, selbst dann nicht, wenn sie keine Liebe, kein Wasser oder sonstige Mittel bekommt, die ein würdiges Leben, garantieren würden.

Um sich zu waschen, geht diese Person in öffentliche Gebäude, um mal kurz auf dem Klo zu verschwinden um sich dort zu waschen.

Denn Wasser hat sie zu Hause nicht.

Um das was wir mit einem Knopfdruck auf dem Klo entsorgen, dafür nimmt diese Person, all das in Tüten und schmeißt es unterwegs in den Müll.

Da sie kein Wasser hat, ist die Benutzung des Klos nicht möglich.

Strom, das Wort ist mittlerweile zu einem Fremdwort geworden, denn der wurde dieser Person auch abgeschaltet, nicht, weil sie ihn nicht zahlen könnte, sondern aus anderen Gründen – auf die wir hier aber nicht näher eingehen möchten, alleine schon darum, weil wir nichts schreiben möchte, was letztendlich auf die Person zurückzuführen ist.

Das haben wir ihr versprochen.

Und was mit der Heizung ist, haben wir gefragt!?

Eine Heizung hat sie nicht, da selbst die Heizung abgestellt wurde.

Die Angst davor, all das öffentlich zu machen, sich zu outen und damit an die Öffentlichkeit zu gehen, ist zu groß und die Angst davor dann das zu verlieren, was ihr geblieben ist, ist unvorstellbar.

Zum einen weil es der Person wahnsinnig peinlich ist und zum anderen weil sie die Wohnung nicht verlassen möchte, da wie bereits geschrieben, viel zu viele Erinnerungen da sind, die sie nicht verlieren möchte.

Eigentlich habe sie schon alles verloren, jetzt möchte sie zu mindestens das behalten, was ihr geblieben ist, die Erinnerungen an eine Zeit, in der alles anders und vor allem schöner war.

Nehmt mir nicht auch noch das, was mir niemand mehr nehmen kann, dann friere und hungere ich lieber.

Hungern müsste die Person eigentlich nicht aber wenn man sich selbst nichts zu essen kochen kann, seine Wäsche nicht waschen kann und das Leben irgendwann sinnlos erscheint, dann würden wir sofort versuchen zu helfen, wo es nur eben geht aber wenn wir, wie in diesem Fall genau das tun würden, was menschlich ist, wie zum Beispiel eine andere Wohnung zu suchen, um dieser Person das Leben wieder lebensleichter zu machen, doch dann zusehen müssten, wie ein Mensch dann nicht mehr weiterleben möchte, weil man ihr das Letzte genommen hat, dass ihr täglich den Willen zum Leben aufrecht erhält, dann bleibt selbst uns nichts anderes übrig, als in regelmäßigen Abständen nach dem Rechten zu sehen, um diesem menschenunwürdigen Leben gegenüberzustehen um einen Menschen, der in seinen Erinnerungen lebt, dafür aber ein Leben lebt, dass für jeden von uns unvorstellbar ist, dort leben zu lassen, wo sich niemand von uns erträumen würde, zu leben.

Wir erleben regelmäßig die Armut derer die in unserer Gesellschaft leben, die aber noch immer versteckt leben, unsichtbar sind, die aus lauter Verzweiflung lieber so leben, wie sie leben, als das sie bevormundet oder gar verurteilt werden, von Menschen, die nicht wissen – wie das Leben sein kann.

 

Uns von UNSICHTBAR e.V. sind manchmal die Hände gebunden, denn wir bieten unsere Hilfe an, zwingen aber niemanden dazu etwas zu tun, was er oder sie nicht möchte.

Letztendlich halten wir den Kontakt zu diesen Menschen aufrecht, schauen, dass es ihnen trotz ihrer Lage, immer noch einigermaßen gut geht und sind ein bisschen stolz darauf, dass sich diese Menschen uns anvertrauen, weil sie wissen – dass wir für sie da sind, sei es selbst nur für en Gespräch oder für einen Einkauf und sollten sie sich dann doch irgendwann dafür entscheiden, ihre Erinnerungen mitzunehmen, um woanders etwas besser zu leben, wir unser Versprechen wahrmachen und ihnen dann zu helfen, wo wir nur können.

 

Seltsam ist es, dass wir in schlimmen Tagen uns die vergangenen glücklichen sehr lebhaft vergegenwärtigen können; hingegen in guten Tagen die schlimmen nur sehr unvollkommen und kalt.

Arthur Schopenhauer (1788 – 1860), deutscher Philosoph