Da blutet mir das Herz

Da blutet mir das Herz
Und ich dachte schon, ich habe vieles gesehen und erlebt aber heute Nacht musste ich mich sehr zusammenreißen, um nicht in Tränen auszubrechen.
Gegen 01:20 Uhr bekam ich einen Anruf von der DB Sicherheit aus #Hagen, es befinden sich zwei ältere Herrschaften dort und sie wüssten keinen Rat, ob wir irgendwie helfen könnten!?
Zwei ältere Menschen, kann vieles bedeuten, erstmal ein Bild machen – so krass wird es schon nicht werden.
Doch es kam krasser, als ich mir hätte denken können.
Also heißes Wasser gemacht, angezogen, ab ins Auto und mal losgefahren.
Es dauerte gar nicht so lange und als ich angekommen bin, wurde ich schon von der DB Sicherheit erwartet.
Ich ging mit ihnen in die große Halle des Bahnhofs und traute meinen Augen nicht – das war der erste Augenblick, wo mir beinahe die Tränen in die Augen schossen.
Da stand eine alte Dame vor mir und ihr Begleiter schlief auf der Holzbank.
Leider konnten sie dort nicht bleiben und es musste eine Lösung her – eine – wie sich später für mich herausstellte, absolut schlechte aber es war eine Lösung, zumindestens für heute Nacht.
Auf meine Frage, wie alt die Dame denn sei, sah sie mich an und sagte: Ich bin Baujahr 44 und mein Freund ist 12 Jahre jünger.
77 Jahre – wow – ich musste nochmal nach rechnen – 77 Jahre – ich schaute sie an und fragte, was denn passiert ist, dass sie auf der Straße lebt.
Nun ja, kam als Antwort.
Um in ein Altersheim zu gehen, dafür fühlte sie sich vor ein paar Jahren noch zu jung und sie hätte auch ein bisschen Angst gehabt, dahin zu gehen, denn sie hätte gerne noch ein bisschen selbst entscheiden wollen, was sie tut und was nicht und sie fand die Idee damals sehr spannend, mal zu schauen, wie es ist – auf der Straße zu leben.
Bitte!? Das ist jetzt nicht wahr, sagte ich – doch doch sagte sie – die Idee war gut aber das Leben auf der Straße hätte sie sich anders vorgestellt und nachdem sie alles aufgegeben hatte, gab es auch keinen Weg zurück.
Hin und wieder telefoniert sie mit ihrer Tochter, fragt wie es ihren zwei Enkelkindern geht und wird dann immer traurig, wenn die Tochter gerade nicht weiß, wo sie ist und spürt, dass sie sich Sorgen macht, zudem kommt nun noch das sie ihr Telefon verloren hat und der Kontakt jetzt erstmal ganz weg ist und selbst wenn sie ein Neues hätte, könnte sie sich nicht an die Telefonnummer erinnern – vor alle dem würde sie deutlich merken, dass ihr das Erinnern immer mehr schwer fallen würde – egal an was.
Ja aber, wäre ihre Tochter denn nicht für sie da gewesen, fragte ich!?
Doch bestimmt, glaubt sie, aber sie wollte ihr in ihrem Alter auch nicht im Wege stehen und sie unnötig belasten.
Ein heißer Kaffee, brachte auch ihren Begleiter ein ganz kleines bisschen zum Schmunzeln aber sonst war er eher sehr ruhig und in sich gekehrt.
Leider habe ich absolut niemanden mehr erreicht, um die beiden irgendwo unterzubringen – die einzige Möglichkeit, die blieb – war der Schlafsack und die Isomatte und eine Stelle, die überdacht ist, so dass sie nicht nass werden würden.
Ich bat sie darum morgen, also gleich an der Stelle zu bleiben, wo sie jetzt sind, weil ich den Streetworkern eine Nachricht geschickt hatte, dass sie in den frühen Morgenstunden, doch bitte dort schauen und irgendeine Möglichkeit finden, den beiden zu helfen.
Darauf hin, bin ich auch noch zur Polizei und nannte ihnen die Stelle, wo die beiden nun hoffentlich etwas schlafen würden und sie versprachen mir, auf ihrer nächsten Streife, nachzuschauen – ob alles in Ordnung ist.
77 Jahre, es hätte meine Oma oder meine Mutter sein können – und ich dachte ich bin hart im Nehmen, musste aber gerade eben feststellen, dass ich ziemlich nah am Wasser gebaut bin.
Es gibt vieles was mich in der Welt noch immer fassungslos macht aber das Erlebnis gerade hat mir die Füße unter dem Boden weggezogen.
Als ich nach Hause fahren wollte, ging das nicht und ich blieb noch eine ganze Zeit dort stehen und mein Kopf sagte mir – ich soll fahren und mein Herz konnte das einfach nicht zulassen, auch wenn nach diesen Menschen geschaut wird, blieb ich noch eine ganze Weile dort.
Wir haben jetzt 04:30 Uhr und ich bin dann doch mal zu Hause angekommen.
Wieder einmal haben wir unser Versprechen gehalten und sind bis tief in die Nacht unterwegs gewesen – auch wenn diese Nacht anders war, als alle Nächte zuvor – wir sind UNSICHTBAR e.V. und halten was wir versprechen – ohne wenn und aber und ohne zu fragen wieso und warum!
In Zukunft muss sich für solche Fälle, solche Menschen, solche Geschichten. etwas ändern und wir werden in Zukunft versuchen irgendwas zu realisieren, damit diesen Menschen, gerade in so einer speziellen Notlage geholfen werden kann.
Ich bin mir noch nicht sicher was aber irgendwas wird uns schon einfallen und ich bin mir sicher unser komplettes Team wird mit daran arbeiten, um irgendeine Lösung zu finden.
wow – was für eine traurige Geschichte – ich bin immer noch fassungslos.