Einfach nur kalt

Gestern fuhren Olaf und Kathrin in Begleitung eines Gastbeifahrers auf die Straße – schon tagsüber war es fürchterlich kalt – hier der Bericht von Kathrin, wie sie die Nacht das was sie erlebten, empfunden hatte.
Als ich mich gestern für die Tour fertig gemacht habe, hat mein Mann mich besorgt beobachtet. „Bist Du sicher, dass das warm genug ist? Pass bloß auf Dich auf.“ Er wusste, dass es gestern bereits -4 Grad waren als ich aufgebrochen bin. Mir war das auch sehr bewusst. Jedes Mal, wenn ich gestern tagsüber mit dem Hund raus musste, habe ich gefroren. Wie gerne hätte ich mich gestern einfach warm eingemummelt. Aber mir ist eben nicht nur mein eigenes Frieren bewusst geworden. Ich habe mich nämlich den ganzen Tag gefragt, WIE genau die Menschen auf der Straße diese Kälte nachts aushalten und sogar in ihr schlafen. Gibt es etwas, das weniger einladend erscheint? Und da war der Wunsch, sich einzumummeln dann weg und der Wunsch zu helfen stand im Vordergrund. Also ging es los.
Auch Olaf hatte den ganzen Tag über ähnliche Gedanken. Kälte ist einfach etwas, was wir von Unsichtbar vielleicht noch bewusster wahrnehmen als manch andere. Weil wir auf unseren Touren SEHEN, was es bedeutet, erbärmlich zu frieren und in dieser Kälte überleben zu müssen.
Wir hatten gestern Falk zu Besuch mit auf Tour. Er interessiert sich für unsere Arbeit und so haben wir ihn auf unserer Tour durch Bochum mitgenommen. Sofort zu Beginn wurde uns allen klar, dass die neuen Minustemperaturen den Menschen auf der Straße Angst machen. ein „alter Hase“ fragte nach etwas essen und was Warmes zu trinken und ein bisschen Schokolade für die Nerven und auch ein offenes Ohr hatten wir selbstverständlich für ihn. Eigentlich wie immer, aber diesmal war die Anspannung bei den Menschen deutlich zu spüren, weil es eben immer kälter wird. Und noch einen Effekt hat die Kälte: Menschen, die auf der Straße leben, haben oft mit Mäusen zu kämpfen. Die suchen nach Essensresten und ein bisschen Wärme. Und genau das suchen sie oft in den „Wohn- und Schlafzimmern“ der Menschen auf der Straße. Und die Kälte treibt auch die Nager vermehrt zwischen die Schlafsäcke. Allein vier Stück mussten unsere Schützlinge gestern in ihrer Zuflucht fangen. Möchte ich mir vorstellen, wie das ist, dass ich bevor ich schlafen kann, erstmal vier Mäuse fangen und entfernen muss? Nein. Aber ich tue es trotzdem und der Gedanke, dass das für einige Menschen bei dem Wetter auf der Tagesordnung steht, macht mich traurig.
Auch an anderer Stelle wurden wir mit den Auswirkungen der Temperaturen konfrontiert. Eine ältere Dame lag zitternd im Halbschlaf auf einem Schlafsack, der die Kälte des Bodens nicht ausgleichen konnte. Das Bild hat sich gestern in meinen Verstand gebrannt. Denn es bestand überhaupt kein Zweifel daran, dass die Frau Gefahr lief, am nächsten Tag nicht mehr aufzuwachen. Wir haben sie angesprochen und erstmal mit etwas zu essen und zu trinken versorgt. Dann haben wir ihr eine Isomatte angeboten, die sie erst abgelehnt hat, weil sie niemandem zur Last fallen wollte. Natürlich haben wir nicht lockergelassen und sie hat die Matte angenommen. Schlafsäcke hatte sie bereits, aber die nützen auch nicht so viel wie sie könnten, wenn der Körper zu viel Wärme über den eiskalten Boden verliert. Sie wollte sich aber erst „später“ die Isomatte hinlegen und Olaf und ich hatten Angst, dass sie das am Ende nicht macht. Wir haben beide vermutet, dass sie das nicht vor uns machen wollte, weil sie Probleme beim Bewegen hat. Und genauso so war es dann auch. Olaf konnte Sie aber überzeugen, sich helfen zu lassen und so konnten wir beruhigt wieder los. Auch ein Weihnachtsgeschenk durften wir ihr noch überreichen und lasst es mich einfach nochmal sagen: Ein dickes fettes unglaubliches Dankeschön an all die Menschen, die uns dieses Jahr mit Weihnachtsgeschenkpäckchen für die Menschen auf der Straße unterstützt haben und das Team, dass dafür sorgt, dass diese Geschenke im Auto landen, sodass wir sie dann verteilen können. Die Freude, die diese Geste auslöst, ist unfassbar groß und hat Olaf und mich sehr berührt.
Als wir in Bochum noch unterwegs waren, kam eine Meldung aus Hagen rein. Dort wusste eine junge Frau nicht weiter und hat uns um Hilfe gebeten. Also sind wir im Anschluss an unsere Tour in Bochum noch nach Hagen und ich muss sagen: gut so. Denn hier konnten wir lernen, dass ein Schlafsack nicht nur vor Kälte schützt. Wir konnten die junge Dame mit Infos zu Ansprechpartnern versorgen, denn die eisigen Temperaturen machten ihr Angst und sie merkte, dass sie SO nicht dauerhaft weitermachen möchte. Abgesehen von der langfristigen Hilfe benötigte sie aber auch direkt vor Ort Unterstützung. Wir haben ihr was zu essen und trinken gegeben, damit sie sich aufwärmen konnte. Handschuhe, eine TOM, Thermounterwäsche gab es auch. Und auch einen Schlafsack mit Isomatte, denn das gibt Ihr die Freiheit, NICHT mit jemandem nach Hause zu müssen, wenn ihr die Sache nicht ganz geheuer scheint. Denn das ist eine Realität für Frauen auf der Straße: In einer Wohnung schlafen, das könnten sie öfter im Monat. Aber die „Miete“ dafür wird von den Männern, die eine Übernachtung anbieten, nicht in Euro verlangt. „Das kannst Du nicht vergessen, wie Du dich dabei fühlst. Das brennt sich in Deine Seele ein und begleitet Dich.“ Mit Isomatte und Schlafsack weiß sie, dass sie auch lebend durch die Nacht kommt, wenn sie diesen anderen Preis für eine vor der Kälte geschützten Nacht nicht bezahlen will.
Und wie heißt es? Das Beste kommt zum Schluss. Wir durften auch der jungen Dame noch ein Weihnachtsgeschenk überreichen. Und als wir schon fast wieder bei unserer „Basis“ in Gevelsberg angekommen waren, klingelte auf einmal das Telefon. Es war die junge Frau, die uns mit absolut ansteckender Begeisterung erzählt hat, was für großartige Sachen in ihrem Weihnachtspäckchen waren. Parfüm, etwas Warmes zum Anziehen, schöne Wäsche, Körperlotion und und und und. Und ein persönlicher Gruß. Und dann sitzen Olaf und ich da und sind irgendwie auch ein bisschen glückselig.