Nach dem Dunklen kommt das Helle

Nach dem Dunklen kommt das Helle. Keine Tour ist bei uns auch nur im Geringsten normal, und immer ist etwas los.

Nachdem Jörn und ich in Richtung Wuppertal losgefahren waren, sprachen wir vorher noch über dies und das, jenes und welches, dieses und jenes, bis wir schließlich im Fahrzeug saßen und Jörn heute das Steuer übernahm.

Als ich gefragt wurde, ob wir heute lieber aussetzen sollten und ich kurz in mich ging, um meinen Energiepegel abzuschätzen, entschied ich mich letztendlich doch für eine Tour.

Vielleicht wird sie heute ein bisschen kürzer, dachte ich – aber ich dachte auch nur so.

Nach unserer Ankunft in Wuppertal war unser erstes Ziel ein Mensch, der unter einem Gebüsch lebte und der sehr glücklich darüber war, uns zu sehen. Er hatte viel zu erzählen, zum Beispiel dass es morgens irgendwie anders ist, wenn man den Sonnenaufgang mit dem Sonnenuntergang vergleicht. Morgens ist die Welt auf seltsame Weise anders als abends, und morgens ist sowieso alles irgendwie hektisch und merkwürdig.

Bei dem Punkt „merkwürdig“ stimmte ich ihm zu, denn die Welt ist manchmal wirklich etwas eigenartig. Was den Morgen betrifft, konnte ich nicht mitreden, da ich oft noch im Bett liege und von mehr Schlaf träume.

Dann setzten wir unsere Tour fort und unsere Blicke fielen auf eine Gasse. Wenn uns das Bauchgefühl nicht völlig im Stich gelassen hatte, hatte sich dort jemand einen Schlafplatz eingerichtet. Also fuhren wir einmal um den Block.

Als wir die Runde drehten, fanden wir jedoch außer einer Matratze und vielen Kleidungsresten nichts vor. Es hätte ein Müllberg sein können, andererseits auch nicht. Deshalb ist es besser, zweimal hinzuschauen als gar nicht.

In der Innenstadt wurde es dann sentimental. Einigen Menschen gaben wir etwas Warmes zu essen, frische Unterwäsche, Socken und andere Dinge – alles, um die Nacht zu überstehen, sich etwas erfrischter zu fühlen und vor allem etwas im Magen zu haben.

Wir sagten nicht, wann wir wiederkommen würden – das sagen wir nie. Das gehört zu unserer Philosophie, dass niemand erfährt, wann und wo wir sind, um eben nicht von uns abhängig zu werden. Wenn wir da sind, dann sind wir da, und wenn ihr dann da seid, dann sollte das eben so sein. Und wenn wir uns dann treffen, helfen wir wie immer gerne.

Dann kam eine ältere Dame zu uns, die wir schon länger kannten. Sie fragte nach Rat und wollte wissen, an wen sie sich wenden sollte, um Hilfe für ihre letzten Tage zu bekommen. Selbst wenn es nur darum ging, über ihren Tod zu sprechen, denn sie wollte nicht mehr, sehnte sich danach, von all dem wegzukommen. Da sie schon – wie sie sagte – älter ist, erwartete sie sowieso nichts mehr, also wäre sie bereit für das, was irgendwann kommen wird.

Ich frage mich, ob ich irgendwelche Gedanken heraushören könnte, und sie antwortete: Nein – sie hat solche Gedanken nicht. Sie ist einfach nur so alt, dass es ruhig geschehen könnte und sie nichts dagegen hätte.

Als sie fragte, wo sie Hilfe bekommen könnte, überreichte ich ihr eine Karte der Diakonie und sagte ihr, dass es dort liebe Menschen gibt, die sich ganz bestimmt um sie kümmern würden.

Als sie, genauso wie alle anderen, die sich nie um sie gekümmert hatten, mich fragend anschaute, antwortete ich: „Nein, nicht so. Da gibt es Menschen, die sich wirklich um dich kümmern. Du musst nur den Weg zu ihnen finden und dann mit ihnen sprechen. Dann wird man sehen, aber den ersten Schritt musst du machen. Und für den zweiten werden sich Menschen finden, die dich unterstützen werden, und ganz bestimmt auch einen dritten und vierten mit dir gehen werden.“

Dann verließen wir irgendwann diesen Stadtteil von Wuppertal und machten uns langsam auf den Weg ins Lager. Unterwegs machten wir noch einen kurzen Stopp bei einem Herrn, der direkt neben einem Bahngleis lag. Es war ein Tipp von einer mir bekannten Person, die mir sagte, dass dort zwei Herren lägen und wir doch mal schauen fahren sollten, um zu sehen, ob wir nicht dort helfen könnten.

Gesagt, getan – Wasser, Suppe und die Welt wurden für einen Augenblick bunter. Aber es fehlten große Schuhe und Verbandsmaterial, denn der Herr, den wir dort angetroffen hatten, war Tage zuvor böse gestürzt. Den zweiten Herrn konnten wir nicht finden.

Wir mussten definitiv Schuhe besorgen, aber Größe 45 war zu klein und Größe 46 hatten wir nicht an Bord. Auch das Erste-Hilfe-Paket war uns irgendwie ausgegangen, doch das sollte kein Problem sein. Denn was machen wir in einer solchen Situation?

Nachschub holen! Ab zum Lager, die richtige Schuhgröße geholt und auch Pflaster, etc.

Mit dem Verbandsmaterial sollten wir dann seine Wunden verdecken, aber das lehnte ich ab. Entweder macht das ein Profi, den er ablehnte, oder er macht es selbst. Bei so etwas sind wir dann raus, was nicht falsch verstanden werden sollte. Denn wenn jemand mit einer stark blutenden Wunde vor uns liegen würde, würden wir ihn selbstverständlich notdürftig versorgen, bis die Rettungskräfte eintreffen. Aber das war hier nicht der Fall.

Und dann ging es in Richtung Bett, aber der Plan scheiterte schon fast an der übernächsten Ampel, an der mir ein Herr auffiel, der in seinem Schlafanzug augenscheinlich spazieren ging. Das schaute ich mir eine Zeit lang an (mittlerweile war ich alleine im Fahrzeug) und informierte dann kurzum die Polizei, dass das vielleicht nicht so wirklich normal wirkte. Lieber einmal mehr als einmal zu wenig.

Die sehr freundlichen Beamten stellten dem Herrn dann ein, zwei Fragen, und es stellte sich letztendlich heraus, dass er in unmittelbarer Nähe wohnte und wirklich einfach nur einen Spaziergang machen wollte. Es war trotzdem irgendwie merkwürdig, aber wir leben eben in einem freien Land, wo man auch mal die halbe Nacht spazieren gehen kann, auch wenn es anderen Menschen etwas seltsam vorkommt.

Jetzt noch eine Pizza, da muss etwas rein – der Kühlschrank ist leer, zum Auftauen fehlt die Zeit. Also ab zur Tankstelle meines Vertrauens, um noch zu so später Stunde etwas Richtiges und Gesundes zu essen. (Ironie aus)

Was willst du machen, wenn du den ganzen Tag vergessen hast, etwas zu essen? Da machst du nichts, schaust doof aus der Wäsche. Also fahre ich zur Tankstelle und sehe am Bürgersteig einen Herrn, und das Bett entfernt sich wieder einmal in weite Ferne.

Ich kaufte meine Pizza, ging zu dem Herrn hin, fragte, ob alles in Ordnung sei, und er schaute mich an, lächelte und sagte: „Herzlichen Dank, dass Sie gefragt haben, aber es könnte mir nicht besser gehen. Ich werde noch eine Weile hier sitzen bleiben und dann wird mich mein Weg weiterführen.“

Ok, alles gut. Und dann machte ich mich auf den Weg nach Hause – Ziel Bett. Ich saß nicht sabbernd im Auto, aber ich muss zugeben, dass ich mich sehr darauf freute. Dabei fiel mir die Geschichte von Jörn ein, die er mir heute erzählt hatte – etwas aus seinem Berufsleben, das ihm vor einiger Zeit sehr zugesetzt hatte. Eine sehr traurige Geschichte, die mich heute Nacht tief berührt hat und die mir wieder einmal zeigt, dass ich genau mit den richtigen Menschen zusammenarbeite, die mir ihre Geschichten anvertrauen, selbst die, die sie zu Tränen gerührt haben. Auch wenn es um Lebensereignisse geht, die sich in den Kopf einbrennen und einen nicht so schnell loslassen.

Die Ereignisse des heutigen Abends und die rührenden Geschichten einer alten Dame sowie das Vertrauen eines Teamkollegen – was will man mehr? Jetzt werde ich mich ins Bett legen, und bevor dann auch ich zur Ruhe komme, darüber nachdenken, wie traurig die Welt sein kann und wie erfüllend es sein kann, einfach mit denen mitzuweinen, die diese Geschichten erlebt haben.

Denn das ist keine Schwäche, sondern eine ganz besondere Stärke, die uns allen zeigt, dass da wirklich noch solche emotionalen und herzlichen Menschen gibt, denen man hin und wieder auf seinem Weg begegnet.

Danke, Jörn, für dein Vertrauen.