JETZT ERST RECHT!

Gestern waren wir wieder mit zwei Teams auf der Straße.
Jens begleitete mich und eigentlich war nur eine kurze Tour geplant, eigentlich war nur ein Team geplant das rausfahren sollte und das war Kathrin und Thorsten, doch als ich am Abend noch etwas erledigen musste und mir diese eisige Kälte vor den Kopf knalte, entschloss ich mich kurzfristig ein zweites Team zusammen zu stellen, um raus zu fahren und warme Getränke und andere Sachen zu verteilen, die benötigt wurden.
Wuppertal war unser Ziel und dort durften wir nun das gespendete Buch überreichen und die Freude war sehr groß.
Wir sollen an dieser Stelle nochmal vielen herzlichen Dank sagen!
Danach fuhren wir zu weiteren Stellen und waren zwar nicht sehr lange unterwegs, durften aber einigen Menschen, den Magen füllen, etwas heißes zu trinken reichen und Zeit mit ihnen verbringen.
Für Kathrin und Thorsten wurde die Nacht länger, sie waren in Bochum unterwegs und hier erzählt Euch Kathrin in ihrer Version, wie für die Beiden der Abend war.
Kathrin schreibt…..
Man soll den Tag ja bekanntlich nicht vor dem Abend loben.
Trotzdem konnten Thorsten und ich dieser Versuchung auf unserer Tour nach Bochum heute nicht widerstehen. Denn es war eine heitere Begegnung an unserem ersten Einsatzort.
Wir trafen eine Gruppe von Menschen, die uns schon erwartet haben, und neben der ganzen Bandbreite dessen, was unser Wagen so hergab, wurden fleißig Geschichten ausgetauscht.
Auch an drei weiteren Stellen trafen wir Menschen, die wir schon länger betreuen und es zauberte auch uns ein Lächelns ins Gesicht als Thorsten und ich uns darüber unterhielten, dass man mittlerweile genau weiß, ob jemand Tee oder Kaffee haben möchte und wieviel Zucker oder Milch er bevorzugt.
Wir hatten noch einen letzten Stop in Bochum vor uns bevor es nach Hause gehen sollte. Und dort trafen wir dann auf eine Situation, die uns und vielen anderen Menschen dort den Boden unter den Füßen wegriss.
Am Stammplatz unserer Schützlinge fanden wir nämlich dort, wo sonst ein Teil von ihnen für gewöhnlich Zuflucht vor Nacht und Kälte findet, ein Grablicht und eine Rose vor.
Einer der Menschen war im Schlaf gestorben. Sein Leichnam war gerade erst abgeholt worden. Es hatte ein Großaufgebot and Polizei und Rettungswagen gegeben. Und die Menschen, die wir so oft schon betreut haben, so oft gesehen haben, denen wir so oft geholfen haben und mit denen wir schon so oft gesprochen hatten – sie waren fertig mit der Welt.
Abgesehen davon, dass sie einen Menschen verloren haben, den sie kannten und mit dem sie einige Zeit verbracht hatten und der sogar einen liebevoll – augenzwinkernden Spitznamen bekommen hatte – ein Gedanke schwang immer mit:
Nämlich dass es genauso gut SIE hätte treffen können.
Ein junger Mann erzählte uns, dass er mit Mitte 20 wahrscheinlich schon mehr Tote gesehen habe als die meisten anderen seiner Altersgenossen, die nicht auf der Straße leben. Und sofort wurde Thorsten und mir wieder bewusst, WIE wichtig es ist, dass man sich um diese Menschen kümmert.
Auch, wenn wir nicht immer alle Probleme lösen können – es ist wichtig, ihnen dabei zu helfen, sicher durch die Nacht zu kommen. Im Hier und Jetzt, ohne Wenn und Aber.
Die Szenen am heutigen Abend müssen dramatisch gewesen sein. Wir sprachen mit Mitarbeitern eines Sicherheitsdienstes, die den jungen Mann entdeckt hatten und augenblicklich mit Wiederbelebungsmaßnahmen begannen, als ihnen klar geworden war, dass er nicht einfach nur schläft.
Aber auch sie oder die gerufenen Rettungskräfte konnten nicht mehr helfen. Was das mit ihnen gemacht hat, stand ihnen ins Gesicht geschrieben und auch ihnen boten wir einen Kaffee an, weil der auch der Seele eines Sicherheitsdienstmitarbeiters in diesem Moment einfach gut tat.
Und wieder dann kamen wieder diese Gedenken, die uns von Unsichtbar dazu motivieren, immer weiter zu machen.
Denn ganz oft gibt es zwar einen regen Austausch zwischen uns und denen, die wir betreuen. Aber ganz oft sind wir auch in der Tat unsichtbar. Wir kontrollieren, ob Schlafende ausreichend gewärmt sind. Ob sie eine Isomatte haben und einen Schlafsack. Ob sie eine Mütze auf dem Kopf tragen und ob ihre Schuhe in Ordnung sind. Und auch, ob sie atmen. Da gibt es keine leuchtenden Augen, kein Dankeschön. Und doch ist diese unsichtbare Arbeit ungeheuer wichtig. Umso mehr, je kälter es jetzt wird.
Das, was dort heute Abend passiert ist, ist unsere größte Motivation das weiter zu machen, für das wir fast jede Nacht ein oder zwei und auch in Zukunft mehrere Teams raus in die Nacht schicken.
Thorsten und ich dachten, unsere Schicht sei damit beendet. Wir haben noch einen wichtigen Gutschein an einen bedürftigen Haushalt in Witten gebracht. Dort haben wir uns aber entschlossen auch noch diverse Stellen anzufahren, an denen wir bereits obdachlose Menschen auf anderen Touren angetroffen hatten. Und ja, wir wurden auch hier fündig. Und was wir hier erlebten, hat uns den Boden unter Füßen gleich nochmal weggezogen. Wir trafen auf einen Mann, der bitterlich um seine verstorbene Frau getrauert hat.
Sie war sein Leben und ihren Verlust kann er nicht verkraften. Immer und immer wieder fängt er an, von ihr zu erzählen, zusammen gekauert auf dem kalten Boden, mit brüchiger Stimme und seine unendliche Verzweiflung packte uns direkt am Herzen.
Wir versorgten ihn mit etwas Warmem und einem Tee und statteten ihn mit Isomatte, Schlafsack und TOM aus. Aber was wir nicht vermochten, war, sein innerliches Leiden zu lindern.
Und das ist das, was mir heute klar geworden ist. Wir lassen Menschen nicht in der Nacht zurück, wenn wir uns von ihnen verabschieden müssen, um nach dem Nächsten zu schauen.
Wir lassen sie nicht an einem Bahnhof zurück, in einem Geschäftseingang oder unter einem Vordach.
Manchmal lassen wir sie auch in ihrer Gedankenwelt zurück. In ihrer Gefühlswelt. Und auch, wenn wir oft für Freude sorgen, für Heiterkeit, für ein Lächeln – manchmal trifft diese Menschen das Leben so hart, dass diese Welten kein schöner Ort sind.
Thorsten und ich waren uns einig, dass wir die Erlebnisse von heute nicht vor Ort zurück lassen.
Kein empathischer Mensch kann das. Das, was wir heute erlebt haben, nehmen wir mit nach Hause. Und so weiß ich ganz genau, was Thorsten macht, während ich meine Gefühle in diesem Text verarbeite:
Er sitz zuhause, trinkt einen Kaffee und versucht, mit dem klar zu kommen, was wir heute gesehen haben.
Was uns aber auch beiden in Bezug auf die Arbeit von Unsichtbar nach dieser Nacht klar ist:
JETZT ERST RECHT! Wir sind da und wir geben niemals auf.