Ich hab an euch alle gedacht.

Nupsi sitzt heute mit einem viel zu großen Stift vor einem Buch,
das eigentlich zu schwer ist für so kleine Hände.
Aber es geht.
Irgendwie geht es immer.
 
Der Stift kratzt leise über das Papier,
und draußen ist es still.
So eine Stille, die nicht tröstet,
sondern Fragen stellt.
 
Manchmal fühlt sich Nähe nicht wie Wärme an.
Manchmal ist sie eng.
Manchmal laut, obwohl niemand schreit.
Und manchmal kostet sie so viel Kraft,
dass man abends nicht weiß,
wohin mit sich selbst.
 
Nupsi denkt an Orte,
an denen man eigentlich ausruhen sollte
und stattdessen innerlich wach bleibt.
Immer wach.
Immer bereit.
Immer auf der Hut.
 
Und gleichzeitig ist da dieses Wissen:
Zeit ist endlich.
Manche Zeit ganz besonders.
Und manchmal bleibt man,
nicht weil es leicht ist,
sondern weil Weggehen wehtun würde.
Nicht einem selbst –
sondern jemand anderem.
 
Das ist ein komisches Gefühl.
Zerrissen sein,
ohne laut zu reißen.
 
Nupsi denkt an den Winter.
An die Nächte, die erst kommen.
An die Kälte,
die nicht nur an den Fingern zieht,
sondern bis in die Gedanken.
An Menschen,
für die Weihnachten kein Fest war,
sondern einfach nur ein weiterer Tag,
den man irgendwie überstehen musste.
 
Vielleicht ohne Tisch.
Ohne Geschenk.
Ohne Besuch.
Vielleicht ohne ein einziges
„Schön, dass es dich gibt“.
Vielleicht wirklich ohne alles.
Echt jetzt.
Absolut nichts.
 
Und dann denkt Nupsi an all die,
die gerade auch zwischen zwei Orten stehen.
Zwischen Bleiben und Gehen.
Zwischen Pflicht und Herz.
Zwischen „Ich halte das aus“
und „Ich kann nicht mehr“.
 
Man kann lieben
und trotzdem leiden.
Man kann helfen wollen
und trotzdem müde sein.
Man kann bleiben
und sich dabei verlieren –
oder gehen
und Schuld mitnehmen.
 
Es gibt keine richtige Entscheidung,
nur ehrliche.
 
Nupsi legt den Stift kurz weg
und schaut aus dem Fenster.
Der Himmel ist dunkel,
aber nicht feindlich.
Eher wartend.
 
Und dann hält Nupsi noch einmal inne.
Weil da etwas Wichtiges ist.
Etwas, das auch gesagt werden will.
 
Nupsi freut sich auch.
Ehrlich.
Ganz ohne Neid.
 
Für die, die nicht alleine waren.
Für die, bei denen es laut war vor Lachen.
Für die, die sich sicher gefühlt haben.
Geborgen.
Gesehen.
 
Für die, die Geschenke ausgepackt haben
und dieses Funkeln in den Augen hatten,
das sagt: Heute ist gut.
Für die, die ihre Leichtigkeit behalten haben
und ihr Lachen nicht verloren.
 
Das alles darf sein.
Das alles muss sein.
 
Denn Freude ist kein Fehler.
Glück ist keine Beleidigung für Leid.
Und Wärme bei den einen
nimmt den anderen nichts weg.
 
Nupsi denkt an alle.
An die mit Dach und Tisch und Kerzen.
Und an die ohne.
An die in Wohnungen.
Und an die auf der Straße.
An die, die geblieben sind.
Und an die, die gegangen sind.
An die, die getragen wurden.
Und an die, die gerade selbst tragen müssen.
 
Egal wo sie leben.
Egal wie ihr Weihnachten war.
Egal, ob es laut oder leise,
voll oder leer gewesen ist.
 
Vielleicht ist das der eigentliche Gedanke von heute:
Dass wir alle Platz haben.
Gleichzeitig.
Mit allem, was wir fühlen.
 
Nupsi nimmt den Stift wieder auf
und schreibt die letzte Zeile ins Buch.
 
Ich hab an euch alle gedacht.