Plötzlich

Besser spät, als nie!
Hier nun der Beitrag von unserem Team, dass gestern durch die Nacht fuhr, um den dort lebenden Menschen zu helfen.

Unsere Berichte erscheinen „eigentlich“ noch in der Nacht oder am darauf folgenden Vormittag – heute jedoch ist mir mein Privatleben dazwischen gerutscht und ich muss feststellen – ein bisschen Privatleben, hat was und fühlt sich gut an.

Hier nun aber der Bericht, den Frank Euch geschrieben hat.

Plötzlich

Meine gestrige Tour ging mit Alev zusammen nach Wuppertal und Hagen.

In Wuppertal haben wir ein paar der uns bekannten Menschen angetroffen, andere waren noch auf Tour, auch neue, uns bis dahin nicht bekannte Menschen haben wir an zwischenzeitlich verlassenen Orten angetroffen. Es ist deshalb wichtig für uns, immer wieder an Orten nachzusehen, auch wenn deren ehemalige Bewohner nicht mehr dort sind.

Ich hatte einen Herrn jetzt längere Zeit nicht gesehen, nach dem Sturmwochenende wollte ich dies am gestrigen Abend aber auf jeden Fall tun. Es traf sich gut, dass uns neue Pullover für ihn mitgegeben wurden.

Der Herr schlief schon fest, im Normalfall schauen wir, ob er gut zugedeckt ist, beobachten wir ihn dann eine kurze Zeit, um zu sehen, ob eine gleichmäßige Atmung vorliegt, und fahren dann wieder.

Da wir aber Sachen für ihn dabeihatten, mussten wir ihn wecken. Nach kurzem Schrecken erkannte er uns und freute sich.

Warum Schrecken? Wer will schon mitten in der Nacht geweckt werden? Und dann noch nicht einmal im eigenen Schlafzimmer im Bett, mit abgeschlossener Wohnungstüre, sondern neben fremden Menschen, die auf einmal auftauchen, auf der Straße liegend. Wir versuchen, die Schlafenden so ruhig wie möglich anzusprechen und uns direkt zu erkennen geben. Trotzdem ist natürlich eine kurze Zeit der Orientierungslosigkeit vorhanden.

Die Pullover waren prima, wir unterhielten uns ein wenig, während wir einen Pudding für ihn machen durften. Und dann fragte er uns, ob wir vielleicht eine Tragetasche für ihn hätten. Die hatten wir leider nicht und auf unsere Rückfrage, welcher Art die Tasche sein sollte und wofür sie gedacht war, erzählte er uns, dass man ihm seinen Rucksack gestohlen hätte.

Plötzlich ist das wenige, was man als Hab und Gut betrachtet, weg. Plötzlich sind die „Luxusartikel“ wie Pullover oder eine Lesebrille nicht mehr vorhanden. Plötzlich fehlen sehr wichtige Dinge wie ein Smartphone und eine Powerbank, um Kontakt halten und vielleicht Hilfe holen zu können.

Wir hatten einen neuen Rucksack an Bord, den wir ihm gerne gaben, er freute sich und konnte seine Habe nun dort wieder unterbringen.

Dieser Mann ist immer sehr ordentlich, nett und höflich, deshalb hat er auch viele Unterstützer in seinem Umfeld, die sich um Neubeschaffung der gestohlenen Dinge kümmern. Wir haben uns natürlich angeboten, ihn auch zu unterstützen, aber momentan brauchte er unsere Hilfe nicht.

Nach gegenseitigen guten Wünschen fuhren wir weiter und fragten uns, wer Menschen auf der Straße, die nur noch sehr wenig haben, so etwas antut? Was ist das für eine Welt, was sind das für Menschen, die so etwas tun? Wenn dieser Herr nicht so gut vernetzt wäre und viel Unterstützung bekommen würde, was wäre dann?

Mit diesen Gedanken fuhren wir weiter, nicht ahnend, dass dies noch nicht der Höhepunkt der Tour war.

Wir fuhren einige bekannte Orte an, unterhielten uns mit den angetroffenen Menschen und gaben aus, was gerade gewünscht wurde.

Als wir an einer Stelle gerade wegfahren wollten, kam eine junge Frau auf uns zu. Total durchgefroren, mit Jogginghose, einer nicht zu dicken Jacke und einem sehr kleinen Rucksack auf dem Rücken.

„Helfen Sie Menschen?“

Ja, wir helfen Menschen, dafür fahren wir in die Nacht.

Als erste Hilfe gab es einen Kaffee und eine heiße Suppe, dazu noch Teebeutel für später.

Eine kurze Rückfrage an unseren Bekannten ergab, dass die junge Frau seit kurzem auf der Straße leben würde.

Plötzlich und ohne Vorwarnung wurde sie von ihrem Partner im wahrsten Sinne des Wortes auf die Straße gesetzt. Das, was sie trug, war das, was sie besaß. Plötzlich sitzt man nicht im Licht, in der Wärme einer Wohnung, sondern steht im Dunkeln, in der Kälte auf der Straße. Ohne Freunde, Familie und soziales Umfeld ist man plötzlich alleine und auf sich selbst angewiesen.

Auch wenn es sich für die meisten nicht real anfühlt, es gibt Menschen, die kein soziales Umfeld haben, weil sie zum Beispiel aus einer anderen Stadt kommen, weil die Familie klein ist und Familienmitglieder verstorben oder in einer Einrichtung sind oder man sich mit ihnen überworfen hat. Vielleicht ist auch eine zu starke Fixierung auf den Partner ausschlaggebend. Im Endeffekt ist es aber egal.

Plötzlich steht man alleine da.

Wir haben unseren Wagen aufgemacht, haben ihr einen TOM gegeben, eine ISO-Matte und einen Winterschlafsack, damit sie zumindest warm durch die Nacht kommt. Unsere Visitenkarte haben wir ihr auch gegeben, damit sie uns anrufen kann, wenn sie Hilfe braucht.

Ihre Frage, ob wir auch Wohnungen vermitteln würden, mussten wir leider verneinen. Wir versprechen nichts, was wir nicht halten können!

Sie setzte sich dann zu unserem Bekannten und wärmte sich an Essen und Kaffee innerlich auf, um sich dann einen Schlafplatz zu suchen, um auch durch ISO-Matte und Schlafsack äußerlich warm zu werden.

Wir werden weiter nach ihr Ausschau halten.

Die weitere Tour durch Wuppertal und auch durch Hagen verlief dann unspektakulär, aber die zwei Erlebnisse haben uns beschäftigt. Es geht manchmal schnell und plötzlich ist alles anders.

Plötzlich sind Sachen weg, Gebrauchsgegenstände, Wertsachen, vielleicht auch Erinnerungsstücke. Aber, obwohl wir vorher darüber schon bestürzt waren, das ist noch das leichtere Los im Gegensatz dazu, auf einmal mitten aus dem Leben gerissen und auf die Straße geschickt zu werden.

Wir helfen allen Menschen gerne, in diesen Fällen aber noch viel lieber.

Deshalb fahren wir raus, mit einem tollen Team. Jede Nacht und auf Meldungen hin.

Weil „plötzlich“ sehr plötzlich eintreten kann.