Wenn man dich fragt, wie du all das verarbeitest

Wenn man dich fragt, wie du all das verarbeitest, wie du all das verkraftest, dann denke ich zu sehen, wie sich ein kleines Tor öffnet und jemand verwirrt hervorschaut und sich am Kopf kratzt, eine Nachricht an dein Gehirn sendet, das dann antwortet, dass es nicht für solche Fragen zuständig ist.
Ja, aber wer ist dann zuständig? Das Herz, die Seele, all die Nervenenden und Gefühlsebenen, die all das untereinander austauschen – vielleicht.
Heute bin ich mit Anna und zwei Pressevertretern der Westfalen Post sowie Radio Ennepetal auf eine Tour gefahren, und das war für uns alle neu.
Presse-Termine, Reportagen, die Begleitung von Filmteams, Live-Auftritte im Fernsehen – das sind alles Termine, bei denen es passieren kann, dass sie heute angefragt werden, um morgen abgehandelt zu werden.
So war es auch in diesem Fall – gleichzeitig wurden wir von einer Zeitung und einem Radiosender angefragt. Aber was machst du in der Ferienzeit, wenn sich viele Menschen zurücklehnen und ihren Urlaub genießen und kaum auf die Straße fahren?
Du suchst nach Lösungen, aber du sagst auf gar keinen Fall ab. Alles, was an Öffentlichkeitsarbeit hereinkommt, „muss“ verarbeitet werden, denn kaum etwas anderes ist wichtiger, um in den Köpfen der Menschen zu bleiben, die uns letztendlich unterstützen.
Anna ist heute ein zweites Mal mit auf die Straße gefahren, und es war eigentlich viel zu früh für sie, um eine solche Tour zu machen.
Eine solche Tour bedeutet:
Eine Person, die sich auskennt und die Übersicht behalten sollte, und eine Person, die genau weiß, was wir tun, aber noch nicht genug Profi ist, um allein Entscheidungen zu treffen. Und dann sind da zwei Reporter, die groß genug sind, auf sich aufzupassen, aber für die ich genauso Verantwortung trage wie für mein Teammitglied, dass all diesen Personen nichts passiert.
Und dann sind da die Menschen auf der Straße – nicht die, die dort leben, sondern die, die einfach dort leben und den Abend ausklingen lassen, und dann sind da natürlich die obdachlosen Menschen.
Das sind alles verschiedene Punkte, die du im Auge behalten musst: hier schauen, da schauen, hinter dir und vor dir.
Hier möchte jemand etwas, dort möchte jemand etwas, hier möchte jemand vorbei, und dort möchte dir jemand seine Geschichte erzählen.
Hin und wieder kommt das Mikrofon an deinen Mund, und du wirst nach verschiedenen Dingen gefragt, darunter auch, wie du all das verarbeitest.
Dann drehst du dich um, und die Mutter, mit der du dich kurz zuvor unterhalten hast, steht mit ihrer Tochter vor dir, einem bildhübschen Wesen, das mit ihrer Freundin auf der Straße lebt, und für das die Mutter einen Schlafsack angefragt hat.
Den hat sie natürlich auch bekommen.
Dann fährst du weiter, suchst eine Person, die sonst dort liegt, aber heute nicht da ist, und machst dir Gedanken über diese Person.
Du denkst fünf Minuten zurück und denkst an die junge Frau, die dir hoch und heilig versprochen hat, sich bei dir zu melden, wenn ihr etwas Spanisch vorkommt.
Und dann drehst du dich im Kreis, hast das Gefühl, auf einem Karussell zu stehen, und funktionierst nur noch, immer mit der Frage, wie du all das verarbeiten kannst, im Ohr und mit einem anderen Blick darauf, dass den Menschen, die dich heute Abend auf dieser Tour begleiten, nichts passiert.
Das war eine sehr stressige Tour, auch wenn ich es mir nicht habe anmerken lassen, im Auto mit allen mitgelacht habe und auch Fragen beantwortet habe. Aber es war stressig. Die Antwort auf die Frage, wie ich all das verarbeiten kann, habe ich schließlich gefunden, als der Reporter von Radio Ennepetal in sein Mikrofon sprach und sagte, dass das, was der Verein UNSICHTBAR e.V. hier alles schafft und umsetzt, nur funktionieren kann, wenn man liebt, was man tut, wenn man von ganzem Herzen dabei ist, um zu denen zu gehen, die Hilfe brauchen und ihnen zu helfen.
Wie verarbeitest du all das, wie verkraftest du all das?
Ich glaube, die Antwort liegt in der wahren Liebe, die ich in diesen Verein stecke, die wir alle in den Verein stecken, indem wir alle ein Stück unseres Herzens dafür geben, all das tun zu können, ohne daran letztendlich gedanklich zugrunde zu gehen.
Ich denke, all die Projekte, die riesigen Projekte, die wir noch vorhaben, die wahnsinnigen, für viele sinnlosen Projekte, diese Wege, die UNSICHTBAR e.V. schon immer gegangen ist, um ein kleines bisschen aufzufallen, sich hin und wieder wie ein Elefant im Porzellanladen zu benehmen, oft das Unmögliche möglich zu machen und sehr, sehr oft helfen zu dürfen – all das und noch viel mehr gibt uns die Kraft, immer und immer weiterzumachen und letztendlich Antworten auf solche Fragen zu finden.
Und zu guter Letzt – vielen herzlichen Dank, Anna, dass du heute bei deinem zweiten Einsatz auf der Straße das Baby so gerockt hast und mir den Rücken freigehalten hast und da warst, wenn ich dich gebraucht habe.
Danke.
Und dann denkst du an die junge Frau zurück, machst dir unermüdlich viele Gedanken über all das, was ihr da draußen in diesem undurchdringlichen Dschungel der Gefahren und der unzähligen unbeantworteten Fragen widerfahren kann aber hoffentlich nicht passieren wird und fragst dich, wie du all das verarbeitest und wie du all das verkraftest…