Obdachlosenhilfe
Manche Geschichten werden kurz erzählt.
Andere brauchen viele Worte.
Wieder andere werden vielleicht gar nicht erzählt.
Manche sind melancholisch, manche empathisch, manche liebevoll.
Aber egal, wie Geschichten erzählt werden – sie haben alle ihren Hintergrund. Einen wichtigen.
Weil Geschichten nicht einfach nur Geschichten sind. Sie sind Erlebnisse. Erfahrungen. Gefühle.
Und sie verdienen es, gelesen zu werden.
Sie verdienen es, verstanden zu werden.
Und sie verdienen es, weitergetragen zu werden.
Denn jede einzelne zählt.
Und hier ist mal wieder eine Geschichte.
Diesmal eine lange.
Aber wäre sie kurz, hätte sie keinen Charme.
Und sie würde wohl auch niemanden mitnehmen, um über sie nachzudenken.
Vor einigen Jahren trafen wir auf viele junge Menschen, die obdachlos in Hagen waren. Sie rauften sich zusammen und waren füreinander da. Einer von ihnen war der, der immer alles im Griff hielt, er war irgendwie der Leitwolf von allen.
In ihrem Camp, so nannten sie es liebevoll, das aussah wie eine kleine Zeltstadt, durfte jeder rein, der sich benehmen konnte und mit seinen Problemen, wie Alkohol oder Drogenkonsum, selbst zurechtkam. Gab es mal Probleme, musste man das Camp verlassen.
Liest sich irgendwie wie ein Abenteuer – war es aber nicht. Weil Obdachlosigkeit kein Abenteuer ist.
Sie vertrauten uns und wollten auch nur von uns Hilfe haben. Sie nahmen diese auch nur von uns an. Wenn es darum ging, Hilfe zu bekommen, sei es jetzt von der Stadt oder von Wohnungslosenreinrichtungen, kamen sie zu uns, sprachen mit uns, nahmen gerne einen Rat an und befolgten ihn dann auch und gingen ihre Probleme an, um sie zu bewältigen.
Auch wenn man solche Geschichten nicht zu nah an sich heranlassen sollte, waren diese Menschen ein bisschen wie Familie.
Irgendwann gingen dann alle ihren eigenen Weg.
Einer von ihnen hat sich einem Zirkus angeschlossen und reist jetzt durchs Land.
Ein anderer hat eine Wohnung gefunden und lebt sich nun so durchs Leben.
Aber mal ehrlich – das klingt einfacher, als es ist. Einfach mal eine Wohnung finden oder durch einen Freund, einen Bekannten oder irgendwelche Menschen eine Wohnung vermittelt bekommen, das ist nicht alles. Da gehört so viel mehr zu.
Wenn so etwas ohne professionelle Hilfe geschieht, kommt man oft gar nicht auf den Gedanken, sich diese Hilfe überhaupt zu holen. Die Hilfe, die eigentlich dazugehört, um wieder wirklich ins Leben zurückzufinden.
Läuft so etwas hingegen direkt über Profis, hat man gleich diese 1-zu-1-Betreuung, diese Begleitung, bei der immer jemand da ist, Tag und Nacht. Und nur dann hat man eine echte Chance, seinen Weg wieder nach vorne zu finden.
Leider hat dieser Mensch, der zwar jetzt eine Wohnung hat, immer noch ein Alkoholproblem.
Und vielleicht – ja, vielleicht – sähe es anders aus, wenn damals alles professionell begleitet worden wäre.
Und genau deshalb appellieren wir an alle Menschen, die ein wirklich großes Herz haben und jemanden kennen, der vielleicht obdachlos ist, der vielleicht Drogenprobleme oder Alkoholprobleme hat, und deren Herz überläuft, weil sie sagen:
„Guck mal, ich hab hier ein kleines Zimmerchen. Du kannst das haben, du kannst da wohnen, dann kommst du wieder auf die Beine.“
So schön dieser Gedanke ist – nein, diese Menschen kommen ohne professionelle Hilfe nicht alleine auf die Beine.
Am Anfang mag es so aussehen, als würde etwas Gutes geschehen. Man hat wieder ein Dach über dem Kopf. Man fühlt sich, als hätte man Leben gerettet.
Aber was, wenn am Ende genau diese professionelle Hilfe fehlt, die so unendlich wichtig ist?
Was, wenn man selbst nicht die Kraft hat, um in den schlimmsten Momenten Halt zu geben?
Was, wenn der Mensch, dem man helfen wollte, daran zerbricht, dass niemand da ist, der ihn wirklich auffängt?
Das kann niemand verantworten.
Weil Hilfe mehr ist als ein Dach über dem Kopf.
Hilfe ist Begleitung.
Hilfe ist professionelle Unterstützung.
Hilfe ist nicht nur ein Zimmer.
Hilfe ist alles.
Genau deshalb erzählen wir diese Geschichten.
Weil sie zeigen, wie wichtig echte Hilfe ist.
Und weil sie zeigen, was passiert, wenn sie fehlt.
So war es auch in jener Nacht von Donnerstag auf Freitag.
Gemeldet wurde mir eine Person. Vorgefunden habe ich zwei.
Für ihn hatte ich alles dabei. Für seine kleine Freundin auf vier Beinen auch. Für die Bekannte auf zwei Beinen bin ich gerne nochmal ins Lager gefahren, weil ich nur den Meldekangoo dabei hatte, in dem nicht alles drin ist, was im Straßenkangoo drin ist.
Und dann durfte ich auch der viel zu jungen Frau helfen, die nichts auf der Straße verloren hat und gerade in Hagen nicht wirklich gut auf der Straße aufgehoben ist.
Beruhigend war, dass sie mit dem jungen Mann und dessen Hund unterwegs war und hoffentlich auch bleibt, solange, bis sich ihre Situation hoffentlich bald ändern wird.
Und zu allem, was sie von uns bekamen, hatte ich noch ein Nuppsi dabei – das Wesen, das Sorgen verschlingt, zerschreddert und dann auspupst (www.herr-friesel.de/nuppsi).
Genau dieses Nuppsi schenkte ich der jungen Frau, die mir vor Freude darüber am liebsten um den Hals gefallen wäre – was wir aber grundsätzlich verneinen.
Sie strahlte. Und vor allem sah ich sie in dieser Nacht zum ersten Mal lächeln. Ihre Geschichte erfuhr ich aber trotzdem nicht. Und weil sie diese nicht erzählen wollte, ließ ich es dabei. Wir drängen niemanden, irgendetwas zu erzählen. Wichtig ist nur, dass sie sicher ist. Dass sie die Ämter abarbeitet, um wieder auf die Beine zu kommen. Und ganz wichtig ist überhaupt, dass sie Profis findet, die sie zurück in ein intaktes Leben führen.
Ich drücke den beiden – ach ne, den dreien – ganz feste die Daumen.
Hier ist dein gewünschter Schlussteil, klar, direkt, mit deinem ehrlichen Tonfall formuliert:
P.S. Natürlich haben wir die Erlaubnis bekommen, dieses Foto von dem Hund zu veröffentlichen. Und wir haben es als Comic verfremdet, sodass man seinen Aufenthaltsort nicht erkennen kann.
P.P.S. Und mal ganz ehrlich:
Warum verlieren wir eigentlich immer mehr Follower?
Liegt es am schönen Wetter, weil alle draußen sind und Sonne tanken?
Oder liegt es vielleicht auch daran, dass wir hier keine niedlichen kleinen Welpengeschichten posten, sondern Tatsachenberichte?
Berichte über das Leben, so wie es wirklich ist.
Was denkt ihr?