Letztendlich sind wir alle gleich

Es war eher eine ruhige Nacht aber solche Nächte haben wir hin und wieder auch mal – einerseits beruhigt es uns, denn dann haben wir niemanden gefunden, der ernsthaft Hilfe brauchte und zum anderen, bleibt uns auch mal etwas Zeit zum Durchschnaufen.
 
Mein Tag fing um 11:00 Uhr an und endet gleich so gegen 6:00 Uhr – eines der härtesten Ehrenämter, die es gibt – sage ich nicht nur immer, es ist auch so.
 
Unser besonderes Konzept Hilfe zu leisten, heißt nicht in Städten Stände aufzubauen, in unserem Fall wäre es die Kofferraumtür, die wir öffnen und dann darauf warten, dass sie herbeiströmen – unsere Hilfe ist die, dass wir nach Menschen ausschau halten, denen es ernsthaft schlecht geht und das in den Nächten.
 
Und dann kann es passieren, dass wir eben niemanden antreffen und „nur“ auf Bereitschaft da waren.
 
Ich möchte aber auch betonen, dass all die anderen Obdachlosenvereine, die auf ihre Art und Weise helfen, für sich selbst ebenfalls besonders sind und das jeder Verein für sich – die rausgehen und nach ihrem Prinzip Hilfe leisten eben auch besonders sind.
 
Egal wie man hilft, Hauptsache man hilft und das macht alle Menschen besonders!
 
Den Mensch im Blick haben, auf Meldungen reagieren, besonders in kalten Nächten da sein, dann wenn andere schlafen – dass war und wird immer unsere Art der Hilfe, in der Obdachlosenhilfe sein.
 
Nicht mehr und nicht weniger.
 
Wir fuhren an diesem Abend, in die Nacht hinein und erreichten weniger Menschen, weniger die auf dem nackten Beton lagen, sich hinter Gebüschen versteckten und noch viel weniger, die in Ladenlokalen, Bushaltestellen oder auf warmen Plätzen versuchten in den Schlaf zu kommen.
 
Bei einer Person, die wir ganz besonders im Augen haben, viel uns auf, dass er ziemlich aufgedunsen aussah, erst dachten wir, dass er endlich zugenommen hatte aber als wir (Martina, Arndt und ich) uns später im Auto unterhielten, kamen wir alle zu dem Entschluss, dass es vielleicht auch Wasserablagerungen sein könnten, Wasser dass sich in seinem Körper, auf Grund seines starken Alkohol- und Drogenkonsums, langsam ansammelte.
 
Ein Mensch, den wir lange kennen – ein Mensch, der wenn er weiter so abbauen wird, diesen Winter nicht überleben wird.
 
Damit es von unten nicht so nass wird, überreichten wir ihm eine spezielle Aludecke, die in der Industrie, zum verpacken von Handelsgütern verwendet wird und damit es von oben nicht nass wird, eine Bundeswehrplane, die wasserdicht ist und den eisigen Wind abhalten wird.
 
Danach ging es dann so gegen 3:00 Uhr in der Nacht in einen Wald, tief hinein und wiedermal freuten wir uns sehr darüber, dass unsere Fahrzeuge höher liegen als gewöhnlich.
 
Es wurde matschig, sandig und der kleine Weg, den uns unser Navi anzeigte, war von den vielen Bäumen, unter denen wir hindurch fuhren, von Laub nur so bedeckt.
 
Es war eine Meldung, der wir nachgingen – eine Meldung, die den Anschein hinterließ, dass wir wie Hänsel und Gretel unterwegs waren. Nur wer war dann Arndt? Vielleicht der böse Wolf?
 
Was auch immer, böse ist er nicht und wie ein Wolf sieht er auch nicht aus – er ist eher für die kurze Zeit, die er nun dabei ist, zu einem wichtigen und sehr symphatischen Teil eines Ganzen geworden.
 
Und dann wahren wir auch schon irgendwann da, nur die Parkbank, die uns beschrieben wurde, die dort am Ende der Welt stehen sollte, die stand nicht da und auch ein obdachloser Herr war nicht zu sehen, also drehten wir um und fuhren wieder aus dem Märchenwald zurück in die Zivilisation.
 
Gruselig war es schon ein wenig aber bei dem was wir alles erleben, dort auf den Straßen, wäre in dem Fall gruselig dann doch stark übertrieben, denn da gibt es in unserem Ehrenamt, in dem mitunter härtesten das es gibt, viele andere Geschichten, bei denen sich die Nackenhaare aufstellen und die für lange Zeit unvergessen bleiben.
 
Als ich dann irgendwann nach Hause kam, begrüßte mich mein Freund der Kauz, der irgendwie hier bei mir im Wald leben muss und der immer laut ruft, wenn ich in der Früh nach Hause komme.
 
Früher erschreckte er noch mich und Ben, besonders Ben – der große Labrador, der bei solchen Geräuschen den Schwanz einzog und Vollgas gab, mein Seelenhund der das alles nun schon seit 2 Jahren von einer anderen Stelle aus beobachtet, ein Wesen das ich niemals vergessen werde, eine Seele, die gegangen ist und einen großen Teil von mir mitgenommen hat.
 
Eine Geschichte, die vielleicht so nicht hier hin gehört aber wieder einmal zeigt, dass wir alle eine Geschichte in uns tragen, die uns wohl niemals mehr loslassen wird, etwas das uns täglich begleitet und das wir irgendwann dann mit in den Schlaf nehmen – Geschichten, Erlebnisse – die jeder von uns mit in sich trägt und die für viele Menschen oftmals verborgen bleiben, sowie auch viele Geschichten, derer denen wir in der Nacht helfen, verborgen bleiben werden, weil sie ein Teil ihres Lebens geworden sind, ein Teil ihrer Erfahrungen geworden sind und ein großer Teil voller Bäche von Tränen entstehen ließen, die das aus uns gemacht haben, was wir heute sind.
 
Wir, die in der Gesellschaft leben und alles geben würden, um zu helfen – die, die eben nicht helfen und nur sich selbst sehen, die – die dort auf der Straße leben und mit eben diesen Geschichten sehr oft überhaupt nicht klar kommen und dann eben auch dieser Kauz, der scheinbar alles im Blick hat und anfängt zu singen, wenn er dann jemanden heimkommen sieht und ihm so mitteilt, in begrüßen zu dürfen.
 
Ein Traum vieler Menschen, ob mit oder ohne Dach über dem Kopf – heimkommen zu dürfen und begrüßt zu werden.
 
Ihr seht wieder einmal, es unterscheidet uns von diesen Menschen, den obdachlosen Menschen gar nicht so viel, denn wir sind alle irgendwo gleich, nur das die einen nicht heimkommen können, nicht begrüßt werden und die anderen ein Dach über dem Kopf haben und die anderen eben nicht und selbst die, die ein Dach über dem Kopf haben, haben oftmals auch niemanden, der sie begrüßt, wenn sie den Weg nach Hause gefunden haben.
 
Letztendlich sind wir alle gleich, nur haben wir eben alle unterschiedliche Geschichten, im Rucksack unseres Lebens, den wir mit uns tragen und der uns Tag ein und Tag aus begleitet.
 
Sonst unterscheidet uns gar nichts – überhaupt nichts!