Den ersten Schritt musst du tun, alle weiteren folgen dann

Wuppertal, Samstagnacht, es ist warm – sehr warm und die Klimaanlage kämpft, um uns etwas frische Luft zu schenken.

Das Fenster aufmachen ist keine Option, denn die warme Luft, die durchs Fenster reinkommt, lässt den Innenraum anfühlen, als stände man auf der Straße und irgendwer hält ununterbrochen einen Fön auf dich – der dir warme Luft ins Gesicht bläst.

Es war schon spät aber zu diesem Zeitpunkt fühlte sich die Stadt an, als hätten wir einen verkaufsoffenen Sonntag, in dem die Menschen zu scharen herumwuselten.

Wir waren noch gar nicht lange mittendrin, kam auch schon der erste Herr auf uns zu und winkte uns – also kurz einen Punkt gesucht, wo man etwas von den vielen Menschen weg steht – ausgestiegen und direkt mal den krassen Unterschied zu spüren bekommen, der sich von frischer angenehmer Luft, in eine warme stehende Luft verwandelt.

Ob wir etwas Zeit hätten – ihm wäre nach reden und ob wir etwa zu essen hätten, weil er hätte an diesem Tag noch nichts gehabt.

Wir hätten in dieser Situation, zu diesen Temperaturen Mengen an Wasser bevorzugt, für ihn war es Bier – welches bei dem Wetter aber niemanden gut tut und schon gar nicht ihm, der wie er uns ja mitteilte noch nicht gegessen hatte.

Das macht kein Körper mit, selbst wenn du Alkohol gewöhnt bist. Ohne Essen geht gar nichts und auch die Gefahr zu kollabieren ist da nicht ohne – also machten wir uns dran und nach der ersten Terrine, fragte er nach einer zweiten und nach einer zweiten, dann auch nach einer dritten, die letztendlich schneller weg waren, als wir gucken konnten.

Ich bin gar nicht lange auf der Straße, sagte er – jedoch kennen wir ihn schon eine ganze Weile. Niemand will mir helfen, sagte er und auf unsere Frage, ob er sich an die Ansprechpartner gewendet hätte, die wir ihm immer und immer wieder nannten, kam dann während er aß, nur ein leichtes Kopfschütteln.

Du musst – auch wenn müssen kein schönes Wort ist – dich an die Stadt bzw. an eine der Einrichtungen wenden, die wir dir genannt haben, wenden, da wird dir geholfen und wenn du das nicht tust, dann kann dir niemand helfen und dann ist es ziemlich klar, dass du irgendwann verzweifelst und das Gefühl hast, dass dir niemand hilft.

Den ersten Schritt musst du tun, alle weiteren folgen dann.

Eingesehen hatte er es, wie all die Male zuvor auch aber die Kraft, die vielen auf der Straße fehlt, hindert sie oftmals daran einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Es ist so ein bisschen, wie wenn man depressiv ist.

Man weiß dass niemand etwas an deiner Situation ändern kann und nur du selbst etwas ändern kannst, wenn du es dann auch zulässt aber genau diesen Schritt dann zu machen, welcher eben deine Situation verändern könnte, den gehst du nicht – oftmals sackst du in dir selbst zusammen, verschiebst vieles auf ein andermal und dann irgendwann fällt es dir immer und immer schwerer aufzustehen um genau diesem Vorhaben zu folgen.

Dieses Vorhaben scheint dir dann selbst so weit weg zu sein, kaum noch greifbar zu sein, dass du in deine eigene kleine Welt versinkst und dir irgendwas in dir einredet, dass du es doch eh nicht wert bist, etwas an deiner Situation zu verändern.

Wir sind keine Psychologen aber wir sind Menschen, wir können kein ärztliches Gutachten über diese Menschen erstellen, können aber und das vielleicht auch nur im Ansatz nachvollziehen, wie es diesen Menschen geht, weil viele von uns schonmal in der ein oder anderen Situation gesteckt haben, außer auf der Straße gelebt haben zu müssen.

Wir alle leben sie diese Empathie – die uns fühlen lässt, wie es diesen Menschen geht und deshalb verurteilen wir auch niemanden, für das was er oder sie tut oder eben auch nicht.

Nachdem wir ihm etwas Süßes mit auf den Weg gegeben hatten, ihm Eistee schenkten und seine Geschichte uns auf unserem weiteren Weg noch etwas begleitete, trafen wir weitere Menschen an, denen wir auch helfen durften, für den Augenblick, für den Moment, mit etwas Zeit, die wir ihnen schenkten, um sie sichtbarer zu machen, als wie sie sich fühlten.

Wir sprachen noch eine Weile über ihn und wie scheinbar aussichtslos es war ihm zu versuchen zu erklären, dass er sich Hilfe holen muss, doch war uns auch klar, dass es an dieser Stelle aussichtslos gewesen wäre, denn das Wetter war einfach viel zu warm und der Konsum viel zu hoch, dass er überhaupt noch etwas verstanden hätte, was wir ihm versuchten, mitzuteilen.

Dann setzen wir unsere Fahrt fort – unser Ziel war Hagen und nachdem wir uns auf den Weg machten, begegneten wir aber noch weiteren zahlreichen Menschen in Wuppertal, denen wir in dieser schwülen Sommernacht – Gutes tun durften.

Und dann ging es doch noch nach Hagen, quer durch verschiedene Ortsteile, ein paar Orte des Ennepe-Ruhr-Kreis, immer mit einem Blick in Geschäfte und Hauseingänge, in denen die Menschen Schutz suchen könnten und wir ihnen dann helfen würden – für den Augenblick, sei es nur sie mit Informationen zu versorgen oder einer Flasche Wasser.

Dann in Hagen angekommen, war es mehr als merkwürdig, denn im Gegensatz zu Wuppertal, war hier gar nichts los, kaum eine Menschenseele war zu sehen, nichts – so als würden hier kein Menschen leben.

Na gut, vielleicht lag es auch an der Uhrzeit, zu der wir unterwegs waren und bestimmt lag es auch an den Temperaturen, die jeden Menschen froh sein ließen, zu mindestens ein kleines bisschen Schlaf gefunden zu haben.

Fazit war dann kurz vor Sonnenaufgang, dass wir dann doch noch einer Person mit einer Terrine helfen durften und einen für uns scheinbar verwirrten älteren Herrn, der auf einen Bus wartete, der aber laut Fahrplan gar nicht mehr kam und nach seiner Aussage, noch nie Bus gefahren zu sein, und der an einer Haltestelle die unmittelbarer in der Nähe eines Krankenhauses lag, so zu helfen, dass wir die Polizei informierten, um sich mal mit dem Herrn zu unterhalten.

Wie sagte mal ein Polizeibeamter zu mir? Lieber einmal mehr anrufen als einmal zu wenig. Das haben wir getan und hoffen, dass es dem älteren Herrn gut geht.

Und dann ging es nach Hause – danke das wir helfen durften!