Füttern verboten

Füttern verboten
Nach 7 Jahren UNSICHTBAR e.V. und vielen Dingen, die ich bisher erlebt, gesehen, erfahren und gehört habe, kann man heute sagen:
Immer wieder mal was Neues
Neu ist eigentlich das falsche Wort dafür, es müsste irgendwie anders heißen aber jetzt noch, nachdem wir die Tour vorhin beendet hatten, fällt mir ehrlich gesagt nichts Passendes dazu ein.
Unsere Tour begann heute Abend so gegen 22:00 Uhr. Nachdem ich Jens abgeholt hatte, erzählte ich ihm, was denn heute so auf dem Plan stehen würde.
Anstelle dem Ziel Bochum, wohin wir heute eigentlich planmäßig hinfahren wollten, sind wir nach Wuppertal gefahren, weil wir dort ein Versprechen einlösen wollten.
Das Team des gestrigen Abends erzählte bereits in ihrem Bericht über den Herrn, dem es schwer viel zu gehen und dessen Schuhe vollkommen kaputt waren, sowie auch von den offenen Wunden, an seinen Beinen, die seine Hose so sehr mit dem ganzen Wundwasser durchnässten, dass die Hose schon an seinem Bein klebte.
Sie versprachen ihm, dass wir für ihn Schuhe besorgen würden, und kaum hatte mich das Team heute darüber informiert, fuhr ich los und kaufte ihm welche und diese wollten wir ihm dann heute Abend ursprünglich auch überreichen.
Also machten wir uns auf den Weg in die Nacht – zu diesem Zeitpunkt war noch alles ganz normal und als wir dann dort ankamen, wo er sich immer aufhielt, kam er uns auch schon entgegen.
Dich suchen wir, sagte ich – du bist doch Gert (Name geändert)
Ja das bin ich, was kann ich für Euch tun, fragte er, worauf ich antwortete – du kannst für uns eigentlich gar nichts tun aber wir können etwas für dich tun.
Ich öffnete die Fahrzeugtür, holte die Schuhe raus und überreichte sie ihm.
Viele Worte vielen ihm nicht ein, außer einem leisen Dankeschön und kaum war das verstummt, schaute ich an ihm herunter und sah im Vergleich zu den gestrigen Bildern, dass die Hose in dem Bereich, in dem das Wundwasser austrat, noch schlimmer geworden ist.
Gerd, sagte ich – du musst unbedingt zu einem Arzt – wenn sich das noch mehr entzündet, kommt als nächstes eine Blutvergiftung und danach kommt dann gar nichts mehr.
Ich weiß, sagte er, aber sein Hausarzt schaute sich die Stellen, bei seinem letzten Besuch an und sagte ihm, dass das gar nicht so schlimm wäre und schickte ihn wieder weg.
Und wenn ich jetzt zu einem anderen Arzt gehe, macht der das wieder mit mir und ich weiß nicht, ob ich das durchhalte.
wow – das war unsere erste Situation, in der wir, Jens und ich – leichte Schluckbeschwerden bekamen.
Dann sah ich ihn an und fragte, ob er einen Kaffee haben möchte und wir uns dann nochmal in aller Ruhe über seine Situation unterhalten sollten.
Wir kamen von seinem Alter, welches er mir verriet und mich dann anschaute und sagte – du glaubst bestimmt ich bin älter, oder? Und ich ihm dann sagte, dass ich da jetzt locker 10 Jahre mehr drauf gerechnet hätte, mich aber gleich auch dafür entschuldigte und er mir direkt sagte, dass ich ja auch recht damit hätte, denn er fühle sich viel älter, seit er auf der Straße lebt, als er es eigentlich wäre.
Und nachdem wir dann unser Gespräch noch mehr vertieft hatten und er mir erzählte, wie er in die Obdachlosigkeit geraten war und was für gesundheitliche Probleme er zudem hat, unterbrach ich ihn mitten im Satz und sagte erneut, dass ich ihn hier und jetzt, in seinem Zustand, nicht einfach stehen lassen würde und ich mit dem Gedanken spiele, ihm einen RTW zu rufen.
Wie, fragte er – einen RTW für mich? Ja was machen die denn dann und schicken die mich dann wieder nach Hause?
Das glaube ich nicht, nicht in dem Zustand, indem du dich befindest.
Ja, wenn das nicht zu viel verlangt wäre, würde ich das wohl befürworten, sagte er mit leiser Stimme und ich zückte das Handy und rief die Leitstelle der Feuerwehr Wuppertal an.
Was ich mal so dazwischenwerfen muss, ist das die Feuerwehr Wuppertal unglaublich freundliche und mitfühlende Mitarbeiter hat, schon der Herr am Telefon, dem ich erzählte, welche Beschwerden der Herr hat und auch welche gesundheitlichen Einschränkungen er noch hätte, war seine Reaktion einfach nur bewundernswert, nett und höflich.
Hut ab – an dieser Stelle
Dann ein paar Minuten später kam auch schon der RTW und die beiden Rettungssanitäter gingen auf den Herrn zu und wieder hat es mich beinahe umgehauen, wie freundlich die beiden Rettungssanitäter, mit dem Herrn umgingen, es kam mir schon fast so vor, als würden sie ihn so behandeln, als wäre es ihr eigener Opa.
Und nochmal Hut ab – dass war mehr als großartig und ich glaube Gert hat sich auch sehr darüber gefreut, wie ein Mensch behandelt zu werden.
Ich schaute noch kurz in den RTW und sagte Gert, wenn er wieder da wäre, soll er sich bei uns melden, wir haben bestimmt noch viel zu reden und wir würden uns auch freuen, wenn wir weiterhin für ihn da sein dürften.
Er lächelt, legte sich auf die Liege, die ihm angeboten wurde und bevor wir weiterfahren konnten, kam ein Herr aus einem asiatischen Restaurant, welches direkt neben dem Ort des Geschehens ansässig ist und schaute mich an und sagte dann.
Füttern verboten – wir sollten hier niemanden mehr füttern, dass sei ein Privatparkplatz und er wolle nicht, dass wir diese Menschen hier „füttern“.
Ich bin eigentlich eine sehr ruhige Person und wünsche mir von jedem Menschen, dass sich niemand streitet, dass man in Ruhe miteinander reden kann und das man alles friedlich regelt, doch in diesem Moment ist mir dann der Kragen geplatzt und ich bat ihn etwas lauter in meinem Ton darum, jetzt doch einfach mal die Füße still zu halten und sich einfach darüber zu freuen, dass hier gerade einem Menschen ärztlich geholfen wird, als sich Gedanken darüber zu machen, dass an seinem ach so tollen Restaurant jemand stehen würde, der friert, nichts zu essen hat und sich vor Schmerzen kaum noch bewegen kann, von uns versorgt wird.
Auf die Frage an Jens, ob ich sehr laut war, sagte dieser – dass da noch Luft nach oben war – also war ich dann doch noch ruhig geblieben.
Sowas regt mich maßlos auf und bei sowas bekomme ich einen besonders dicken Hals – „Füttern verboten“ – ja wo leben wir denn?
Nachdem dann der Herr, der die Situation wohl mit einem Zoobesuch verwechselte, ohne Worte wieder in seinem Restaurant verschwand, machten wir uns weiter zu den nächsten Herrschaften auf, denen wir an dem Abend noch mit Kaffee und etwas Warmen zu Essen helfen durften.
Da ich gestern und heute in einem kurzen Feedback von dem Team mitbekommen hatte, welches den Herrn gestern besuchte, dass ihnen diese Situation sehr unter die Haut gegangen ist und alle sehr besorgt um den Herrn waren, rief ich das Team von gestern, trotz der Uhrzeit noch an und berichtete ihnen davon, dass Gerd jetzt ins Krankenhaus kommt und dort untersucht und behandelt wird.
Vielleicht können sie heute etwas besser schlafen, ich für meinen Teil, werde besser schlafen können, alleine durch den Gedanken daran, dass sich nun um den Herrn gekümmert wird.