Märchenstunde

Unterwegs durch die Nacht, der Himmel bedeckt, es regnet und die Kälte dringt unaufhörlich in die letzte noch warme Spalte hinein, um auch dort noch den Rest Wärme zu entfernen.

Der Schnee vom Tag ist schon lange wieder Vergangenheit, doch die Erde auf der man und das trotz dicker Schuhe, steht – hat sich so vollgesaut, dass jedes Mal, wenn man stehen bleibt, man spürt, wie diese niedrigen Temperaturen sich den Weg durch den Körper bahnen.

Eins von unseren grünen auffälligen Fahrzeugen bahnt sich seinen Weg, vorbei an Ampeln, tausenden von Verkehrsschildern aber auch merkwürdig ruhigen Stadtteilen bis hin zu Orten, wo sie leben, die Menschen, die wir tag täglich erreichen.

Das andere Fahrzeug ist mit einem anderen Team in einer anderen Stadt unterwegs.

Zwei Teams sind draußen, um dort zu helfen, wo ausser UNSICHTBAR e.V., jetzt niemand mehr hilft.

Mit an Bord ist Kathrin und Su, die mal reinschnuppern möchte, in das was wir tun und ich als Fahrer, immer mit einem Auge links und rechts zum Straßenrand, dort wo jederzeit eine Seele sitzen könnte, die sich freuen würde, wenn wir anhalten und fragen – magst du vielleicht einen heißen Kaffee, oder vielleicht doch lieber einen Tee?

Wir beginnen unsere Tour an einer Stelle, die wir schon fast täglich anfahren, doch die Wohnung, ohne Dach – offen bis zum Sternenhimmel, der eigentlich da wäre, wäre der Himmel vor lauter Wolken nicht so zugezogen – ist leer, die Bewohner noch nicht wieder zu Hause und wir verschieben den Halt auf einen späteren Zeitpunkt.

Weitergehts, in Richtung Innenstadt – hier ist es eigentlich ganz gemütlich, sagt uns der Bewohner, dieser Wohnung – um mich herum sind Wände und der Wind kann nicht so auf mich einpeitschen – von der offenen Seite, dringt noch ein bisschen Weihnachtsmarktgeruch zu uns, der jedoch immer und immer weniger wird, denn auch hier schleicht die Kälte umher und nimmt sich, was sie kriegen kann.

Ein kaputter Schlafsack, wird durch einen neuen ersetzt und dann erzählt er uns – all das was ihm wichtig war, all seine Bücher, all sein Hab und Gut, die Papiere und und und – all das wurde ihm gestohlen – bis auf ein Buch, dass mit der Originalunterschrift, des Schriftstellers, dass ihm Regine geschenkt hatte, das trug er bei sich und das ist auch das Einzige, was ihm von all seinen Büchern geblieben ist.

Er wirkt nicht nur traurig, er ist es auch.

Er aber auch wir, kann / können es nicht verstehen, dass man denen, die gar nichts mehr haben, auch noch den letzten Rest stiehlt und sich damit auf und davon macht.

Sowas passt nicht in eine Märchenstunde, sowas ist die bittere Realität, der Straße und dann wünscht er uns einen guten Abend, wir sollen auf uns aufpassen, gesund bleiben und hoffentlich bald wieder kommen.

Wir setzen uns ins warme Auto, schauen nochmal zu ihm hin und sehen, wie er in seinem Buch blättert, welches er schon gelesen hat, aber nun noch einmal liest, weil ihm eben nichts anderes geblieben ist.

Dann geht’s zu einer anderen Stelle, aber auch hier ist die Wohnung leer, die Tür steht weit offen und man kann einfach hineinschauen, doch anwesend ist niemand.

Also geht’s weiter und schon wird uns gewinkt, er springt auf und ich glaube, er dachte wir hätten ihn nicht gesehen, doch versperrte uns für den Augenblick eine rote Ampel, die Weiterfahrt, bis sie dann gefühlte drei Stunden später auf grün sprang, wir parkten und freuten uns ihn zu sehen, genauso wie er sich freute uns zu sehen.

Alles ist gut, nur eben das Wetter nicht, dass muss kaputt sein – irgendwas stimmt da mit der Heizung nicht – es ist einfach nur kalt.

Ein nettes Gespräch, die Thermoskanne wird mit heißen Kaffee aufgefüllt und schnell noch etwas Süßes obendrauf und natürlich etwas Warmes für den Magen.

Umso länger man steht, umso mehr spielt die Kälte mit dem Körper, zieht bis in den Rücken hinein und sucht sich dort jegliche Nervenbahnen, die auf diese Spielereien auf Anhieb anschlagen – sehr unangenehm und das schon im Stehen.

Ich stelle mir vor, wie es im Sitzen oder Liegen sein muss, breche diesen Gedanken aber lieber ab, bevor ich mich noch mehr in das Leben derer hineinversetze, die genau das erleben – ungeschützt der Kälte ausgesetzt zu sein.

Manchmal funktioniert das, manchmal aber auch nicht und wenn ich dann jetzt gerade hier in meiner warmen Wohnung sitze, merke ich das es heute wieder nicht funktioniert hat, diesen Gedanken abzubrechen. Er ist dageblieben, vielleicht nicht so, dass ich die ganze Fahrt darüber nachgedacht habe, aber er schlummert in mir, in uns – in denen die rausfahren zu denen, deren Heizung defekt ist und wäre der Himmel klar, sie die Sterne sehen könnten, die unter ihrer Wohnzimmerdecke leuchten würden.

Dann erreichen wir eine weitere Person, hier scheint die Märchenstunde heute Programm zu sein und wir hören sie uns an, glauben vielleicht nur halb so viel davon, was uns erzählt wird aber nehmen seine Geschichte mit.

Märchen müssen eben nicht immer wahr sein aber sie wollen auch erzählt werden

Auf der Rückfahrt fahren wir nochmal an dem Ort vorbei, an dem wir zu Anfang waren und sehen viele kleine bunte Lichter – sie haben es sich gemütlich gemacht, in ihrer Wohnung.

Ein paar bunte Lichter, etwa Weihnachtsstimmung, höre ich sagen – ein bisschen Harmonie schaffen, etwas der Kälte entkommen.

Es gibt einen TOM, aus dem sich gleich die frischen Socken geangelt werden, zuvor hatte ich Socken mit Handschuhen verwechselt, die sahen dann eher lustig an den Füßen aus und aus einer Märchenstunde, wurde kurzfristig ein Comedy Abend, an dem alle herzlich gelacht hatten, was aber auch dazu gehört – in einer Welt, die eigentlich nicht schön ist, einer Welt die grauer nicht sein kann, eine Umgebung, die ohne diese bunten Lichter, mehr als nur trostlos wäre.

Was auffällt ist, als wir gefragt wurden, wie es uns geht und wir sagten, dass drei Nächte in Folge ihre Spuren hinterlassen, dass sie müde machen – wir aber trotzdem bei ihnen sein möchten, weil auch wenn ihre Welt, ihr Wohnzimmer anders ist, ganz im Gegensatz zu dem was für uns normal ist, dass man hier gerne ist, weil hier die Welt, trotz alle dem in irgendeiner Art und Weise noch heile ist.

Danach durften wir noch weitere drei Kaffee und vier Suppen verteilen, uns ein herzliches Dankeschön anhören und das besonders an dieser Situation war, als einer von den drei Herren, den Herrn, der liegen blieb – dazu aufforderte sich ordentlich hinzusetzen, wenn seine Freunde ihn besuchen kommen.

Letzteres musste gar nicht sein, doch er bestand da drauf – Freunde muss man stehts freundlich begrüßen.

Unsere Fahrt ist nun hier zu Ende, eine gar nicht so lange Fahrt, eher eine kurze aber eine mit Märchen, Comedy und Eindrücken, tiefen Gedanken, die wir wieder mit nach Hause nehmen, um dann doch wieder darüber nachzudenken, wie gut es uns doch allen eigentlich geht.

Im laufe des Tages folgt der Bericht, von unserem zweiten Straßenteam, welches von Sabine und Frank gefahren wurde.

Gute Nacht Euch allen!