Das was viele nicht sehen

Heute ist der 23.01.2022 und unsere Tour die wir, Regine SonnleitnerJens Fehlau und ich heute gefahren sind, ist die 19. diesem Monat und gleich am Sonntag fahren wir die 20. hinterher und warum das so ist, geht vielleicht auf folgendem Bericht hervor.
Heute war ein merkwürdiger Abend, bis in die Nacht hinein.
Den ganzen Abend, die ganze Nacht, hatte ich Wände in meinem Kopf herumschwirren – alles drehte sich um Wände.
Da war diese Wand, vor dem Ganzen was sich hinter dem Vorhang der Gesellschaft abspielt – auf einer Seite, alles rosig, bunt und irgendwie auch schön, sauber und gepflegt – zwei Schritte weiter, wenn man dann den Vorhang etwas zur Seite geschoben hat, de Realität, der nackten und kalten Straße.
Auch das Wetter hatte etwas das uns heute an eine Wand erinnerte – anfangs war es schon viel zu warm, für diese Jahreszeit und dann später, als hätte sich eine Wand dazwischengeschoben, wurde es bitterkalt.
Und dann gab es da noch die Wand, zwischen alles und nichts. Alles könnte so schön sein aber nichts davon ist es Wirklichkeit.
Wir haben heute Stellen entdeckt, die mitten in der Stadt waren, schon fast mittig auf einer Kreuzung, auf einer Insel stehen, einem Ort, an dem jemand schläft, aber auch ein Ort, in dem regelmäßig Menschen verschwinden und obwohl sie sehen, dass sich dort jemand ein Schlafplatz errichtet hat und diesen Ort als öffentliche Toilette benutzen.
– Direkt vor unseren Augen passiert –
Es gab diese, ja eigentlich wie immer – diese eine Seite der Wand, auf der Menschen schon fast herumirrten, weil die Nacht schon so lang wurde und der Alkohol für viele zu viel und diese dann – pi mal Daumen – den Weg nach Hause fanden, aber bevor sie das taten, noch einen kurzen Blick auf die, die auf der Straße schliefen, schmissen und ihre Nase rümpften.
– Die einen machen es einfach – die anderen werden dafür verurteilt aber verurteilen darf auch nur der gesunde Teil der Gesellschaft, der andere Teil hinter der Mauer, hat gefälligst still zu sein –
Wir spürten am eigenen Leibe einen, also so habe ich das noch nie erlebt, einen Wetterumschwung, der mal richtig krass war. Kurz vorher noch über die unnormale Wärme gewundert, fühlte es sich so an, als würde eine Wand auf die Erde fallen und aus warm, wurde plötzlich eiskalt und wenn ich schreibe eiskalt, dann meine ich auch richtig fies kalt.
Von einer Sekunde auf die andere, paff – hatten wir das Gefühl uns fallen die Hände ab und auch die Menschen, denen wir in dem Augenblick einen Kaffee gereicht hatten, mussten den Becher mit zwei Händen halten, weil sie so sehr anfingen zu zittern, dass ein normales Halten dieses Bechers kaum noch möglich war.
– Und dann steht man da und es zerreißt einem das Herz, wenn anfängt darüber nachzudenken, dass man sich über dieses Wetter beschwert, obwohl man warm eingepackt und die Menschen dort sitzen sieht, auf dem kalten Stein und man sich versucht vorzustellen, wie es wäre dort selbst zu sitzen, und die Gedanken sich urplötzlich auf was anderes konzentrieren, weil der Kopf da nicht mehr mitspielen will – weil es einfach zu schwierig ist, sich diese Situation vorstellen zu können.
Würden sie unsere Winterschlafsäcke die bis -20 Grad aushalten nicht haben, möchte ich mir gar nicht vorstellen, was passieren würde, wie plötzlich aus Kälte, Schmerzen werden und wie aus Schmerzen, dann schlimmeres passieren würde.
Allein dieser Gedanke ist uns eiskalt den Rücken runtergelaufen.
Und jedes Mal, wenn wir dann wieder fahren und ein bisschen helfen durften, schauen wir uns an und fangen an zu hoffen, dass die Winterschlafsäcke standhalten, wenigstens ein wenig Schutz bieten, gerade dann, wenn Wände fallen und das Wetter sich mal wieder so extrem verändert.
Und dann – ja dann könnte doch eigentlich alles so schön sein, aber schön ist auf unseren Touren oftmals nicht wirklich was, denn die Wirklichkeit erzählt andere Bilder, von den Menschen, die hinter dem Vorhang der Gesellschaft leben, die eben hinter der Mauer leben, über die nur wenige, derer die davor leben, einen Blick schmeißen möchten.
Das Bild, dass wir Euch hier zeigen, zeigt den Rumpf eines dieser Menschen, der zu denen gehört, die dort auf der Straße leben.
Schon des Öfteren haben wir Euch Bilder gezeigt, die dem/der ein oder anderen am Frühstückstisch, vielleicht den Kaffee und das Frühstück versaut haben, aber auch das ist unsere Aufgabe – also uns jetzt nicht zum Ziel machen, Euch euer Frühstück nicht mehr zu gönnen, sondern Tatsachen zu zeigen – Tatsachen, die die Wirklichkeit in diese andere Welt zeigen.
Dieser Rumpf ist von uns ein bisschen verfälscht worden, weil hätten wir Euch das Originalbild gezeigt, dann hätten wir hier wohl wieder mal ein Bild gepostet, dass der Betreiber dieser Plattform gesperrt hätte.
Nicht nur das der Herr extrem dünn ist, seine Rippen – wenn man neben ihm steht, einem entgegenzuspringen – scheinen. Es sieht so aus, als würde den Rippen nur eine klitze kleine Lage Haut davon abhalten, sich nach außen zu bohren.
Und als wir diesem Herrn heute eine „kleine“ Pizza gebracht hatten, weil er sie sich gewünscht hat, dachten wir, wir trauen unseren Augen nicht, denn so schnell war das erste Stück verschwunden, danach das Zweite, das Dritte und in wirklicher Rekordzeit, war die Pizza verschwunden.
Der Herr hat sich eine Pizza gewünscht aber auch nur eine kleine und das hatte folgenden Grund. Er isst nicht viel, eigentlich gar nichts und das würde er auch nicht, wenn wir nicht in regelmäßigen Abständen nach ihm schauen würden.
Warum das so ist – wir wissen es nicht!
Und eben aus diesem Grund, so sagt er selbst, hätte er eine große Pizza nicht geschafft, sie hätte wohl eher negativ auf ihn eingewirkt als eben diese Kleine.
– Alles könnte so schön sein aber nichts davon ist Wirklichkeit –
Es könnte anfangen schön zu werden, wenn nicht immer nur geredet würde, sondern einfach mal auch gehandelt werden würde, wenn noch mehr hingeschaut wird und noch mehr Menschen auf diese Themen angesprochen werden und sei es, dass uns von jungen Erwachsenen nachgerufen wird – „Ihr könnt gar nicht unsichtbar sein, denn wir sehen Euch ja“.
Ein uralter Spruch, den wir aber gerne auffangen und auf diese Menschen zugehen, ihnen dazu gratulieren, dass sie uns gesehen haben und wir uns riesig darüber freuen würden, wenn auch sie in Zukunft, die Menschen sehen würden, die doch eigentlich unsichtbar sind.
Oftmals, auch heute – wird es dann für einen kurzen Augenblick ruhig, ein nachdenklicher Augenblick, bevor die Party dann weiter geht. Wir wünschen viel Spaß aber auch den ein oder anderen Moment, der vielleicht zum Nachdenken angeregt hat und demnächst nicht nur mit Sprüchen um sich geworden werden, sondern vielleicht auch gehandelt wird.
Unsere Tour führte uns trotz Wänden, eisiger Kälte, scheinbar durch nicht undurchdringbare Vorhänge, durch die es die Gesellschaft einfach nicht schafft, zu schauen, um die Realität zu erblicken, bis hin zu vielem was sein könnte aber gar nicht so ist, wie es sich viele nicht vorstellen wollen, dass es ebenso ist.
Schwieriger Satz aber auch eine schwierige Realität, auf die wir mit unseren Berichten hier an dieser Stelle und Vorträgen an Schulen, in Unternehmen und vielleicht auch schon bald an Universitäten, aufmerksam machen.
Bochum, der Ennepe-Ruhr-Kreis und Wuppertal, drei Städte, in die wir heute gefahren sind, um Wänden und vor allem der Kälte etwas zu trotzen und Wärme dorthin bringen durften, wo sie dankend angenommen wurde.