Sucht und die Lotterie des Lebens

Sucht und die Lotterie des Lebens
 
Ich durfte heute mit Sabine W. und Holger in die Nacht fahren. Holger und ich starteten heute früher als sonst und fuhren erstmal ins Lager, um das Auto mit vielen Leckereien, Schlafsäcken, Isomatten, heißem Wasser und was wir sonst so für die Obdachlosen brauchen zu bestücken. Nebenbei unterhielten wir uns über´s Lotto spielen und was wir mit einem Gewinn alles machen würden.
 
Als die letzte Thermoskanne aufgefüllt war, starteten wir nach Wuppertal und sammelten unterwegs noch Sabine W. ein.
 
Als erstes suchten wir Gerd (Name geändert), den wir letzte Woche Freitag mit offenen Beinen und kaputten Schuhen besucht haben. Holger und Jens konnten ihm am darauffolgenden Tag überzeugen sich helfen zu lassen und er wurde mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht. Er war an den uns bekannten Stellen nicht aufzufinden und wir hoffen, dass er noch im Krankenhaus ist, um seine Wunden heilen zu lassen.
 
Wir fuhren kreuz und quer durch Wuppertal und trafen einen Mann, der mit nicht viel ausgestattet war und nur auf einem Karton in seinem Schlafsack lag. Er hatte Verletzungen an seiner Hand, die er mit Klopapier selbst versucht hatte zu verbinden. Wir versprachen ihm zu helfen und sammelten im Auto alles uns erdenklich wichtige, wie Verbandszeug, Desinfektionsmittel, Isomatte, Terrine, einen heißen Kaffee, Naschkram und einen TOM zusammen. Als wir zu ihm zurückkehrten und ihm alles überreichten, bedankte er sich. Leider spricht er nur schlecht deutsch und ein Gespräch war schwer. Im Gehen habe ich zu ihm zurückgeschaut und er saß da, in seinem Schlafsack und schaute ungläubig auf die vielen Sachen, die er von uns bekommen hatte und er wirkte sehr gerührt.
 
Einen konnten wir mit einem Radio versorgen, über das er sich sehr freute. Wir redeten kurz mit ihm, aber das neue Radio faszinierte ihn so sehr, dass wir zügig aufbrachen, damit er es endlich ausprobieren konnte. Zum Abschied sagte er, er freue sich, dass morgen Samstag ist, da könne er etwas länger als sonst schlafen. Was für viele von uns völlig normal ist, am Wochenende auszuschlafen, ist für die auf der Straße etwas Besonderes, denn sie müssen oft schon früh ihre Schlafplätze räumen.
 
Es waren wieder viele auf der Straße, auch ein uns alter Bekannter, den wir auf jeder Tour durch Wuppertal anfahren. Sein Schlafplatz ist immer ordentlich aufgeräumt und jedes Mal, wenn wir dort ankommen, liegt er in seinem Schlafsack und liest. Er freute sich uns zu sehen und wir plauderten mit ihm. Es kam mir nicht richtig vor von „oben“ mit ihm zu reden, also fragte ich ihn, ob ich mich setzen dürfe und er willigte ein. Ich holte unsere Berichtsmappe aus dem Auto und setzte mich drauf und wir waren auf Augenhöhe, das fühlte sich für mich richtig an.
 
Wir haben uns lange über verschiedene seiner „Kollegen“ unterhalten, welche Drogen sie genommen haben bzw. noch nehmen. Viele dieser Drogen kannte ich nicht mal, aber ein bisschen kann ich die Sucht verstehen, für ein paar Stunden mal die Sorgen und Ängste vergessen, sich zu betäuben. Das soll nicht heißen, dass ich das gut finde, aber wenn man in traurige Gesichter sieht, die kaum etwas haben, kann man den Wunsch verstehen für eine kurze Zeit in einer „anderen Welt zu sein“ und seine Probleme für ein paar Stunden zu vergessen…
 
Ist das Leben nicht auch eine Art Lottospiel?! Die einen gewinnen und die anderen verlieren…
 
Danke an Sabine W. und Holger für die gute Tour!