„Es ist Wahnsinn, was dieses Leben mit dir macht…

„Es ist Wahnsinn, was dieses Leben mit dir macht, wie sehr es dich altern lässt und was es dir alles nimmt und du kannst nichts dagegen tun, außer zu hoffen, dass du überlebst.“

Und wir haben es wieder getan – Tabus gebrochen – rausgefahren in eine andere Welt, um dort den Stimmen derer zu zuhören, die um die Uhrzeit niemand mehr hört.

Doris begleitete mich heute in die Nacht hinein und lebte für diesen Abend mit mir die Philosophie von UNSICHTBAR e.V.

Eine Philosophie, ein Konzept, eine Idee, die wir nun seit über 7 Jahren leben und erleben dürfen – eine ganz besondere Herangehensweise, diese Menschen zu erreichen, die auch heute, sowie an vielen anderen Tagen des Jahres leider viel zu wenig gesehen werden.

Auf der Fahrt nach Hause, sahen wir heute früh gegen 05:45 Uhr den abnehmenden Halbmond, auch Warning Cresent Moon genannt über uns leuchten, als wir über die Autobahn dann nach Hause gefahren sind.

Er strahlte richtig hell und ich stellte mir vor, wie vorne auf der Spitze ein Männchen saß, der hinabblickte, um auf die Erde zu blicken, um die zu beschützen, die dort auf der Straße leben und nichts mehr haben, außer sich selbst und dem wenigen Dingen, die ihnen geblieben sind.

Das sind solche Augenblicke, in denen unsere Gedanken eine Art Abwechslung suchen, wenn der Kopf mal kurz an etwas anderes denken möchte, einfach mal kurz abschalten und neu starten will, um diesen Geruch, diese Blicke und diese Not vor Augen, für einen Augenblick abzustellen.

Manchmal sind es solche Gedanken, manchmal fällt man innerlich selbst zusammen und manchmal hat man die Birne so sehr voll, dass man gar nicht mehr weiß, wo vorne und hinten ist.

Unsere Tour begann heute bei einer Meldung, die wir gestern nicht angetroffen hatten, dafür aber dann heute und zu der wir am Sonntag wieder fahren werden, um noch mehr mit diesem Herrn, der heute nur einen Kaffee wollte und es ziemlich eilig hatte, in Kontakt zu treten.

Danach fing unsere eigentliche Tour an und diese bei einem Herrn, dem wir erst einmal sein Bild gezeigt haben, dass wir am 23.06.2022 gepostet hatten, als wir unser Projekt vorgestellt hatten, welches ein langwieriges Tabu brechen wird.

Er hatte es bereits vorher schon gesehen, doch jetzt als es öffentlich wurde, erzählten wir ihm auch von den Kommentaren da drunter, wie zum Beispiel Kerstin Werther schrieb, dass er wunderschöne Augen hat und das er ein smartes Gesicht hat, dass sie stundenlang anschauen könnte und alleine dieser eine Kommentar, brachte ihn zum Staunen und er lächelte, denn das schenkte ihm Aufmerksamkeit, die er so in dieser Form schon lange nicht mehr über sich sagen hörte.

Ein Projekt das Tabus bricht und immer wenn wir Bilder von diesen Menschen posten und ihnen in Zukunft auch die Kommentare vorlesen werden, etwas in ihnen weckt, das für sie schon lange nicht mehr vorstellbar war, dass manche Menschen, so über sie denken und sie nicht nur als Penner, Vagabunden oder sonst was angesehen.

Das war nicht der Plan des Projektes aber was kann man schon planen und deshalb werden wir die Kommentare und Reaktionen ab sofort an die Menschen weitergeben, deren Bilder, wir Euch zeigen.

Kommentare und Reaktionen wie zum Beispiel Komplimente, Anerkennung, gesehen werden – einfach mal zu hören, wie wird man gesehen, was wird aus meinem Gesicht gelesen und was halten die Menschen von mir!?

Ich glaube, dass wir mit diesem Projekt und mit den Informationen und Kommentaren, die dadurch entstehen, die wir mit diesen Menschen teilen, etwas schönes geschaffen haben, um nicht nur den Menschen, die – die Bilder sehen, zu zeigen, wie diese Menschen eigentlich aussehen, sondern den Menschen, die dort abgebildet sind, ein Blick aus ihrer Welt zu schenken und sie wissen zu lassen, wie schön, interessant und wertvoll sie jeder einzelne Mensch, der diese Bilder dann kommentiert, findet.

Irgendwann nach einem sehr langen und interessanten Gespräch ging es dann weiter für uns, weiter mit der Philosophie von UNSICHTBAR e.V. – weiter in die die tiefe Nacht hinein, um denen zu helfen, die bis zu dem Zeitpunkt, wo der Mond schon lange über sie wacht, keine Bleibe gefunden haben.

Wir erreichten im Anschluss den Herrn, der an einer Mauer schläft und sich mit vielen Decken seinen Schlafplatz schon fast, wie ein weiches Bett errichtet hat, zu dem Herrn der leider nicht mehr wirklich wahr nimmt, dass es um ihn herum teils schon bestialisch riecht, wir aber in diesem Momenten, in dem wir ihn besuchen, dann ganz nach dem Motto „Augen zu, und durch“ auch hier gerne helfen.

Es ist egal wo und wie sie leben, wir sorgen uns um sie und erreichen sie ohne wenn und Aber, gehen zu ihnen – sprechen mit ihnen und nehmen sie für einen Augenblick bei uns auf, lassen sie für einen Augenblick spüren, dass wir für sie da sind und wann auch immer, immer wieder gerne zu ihnen kommen, um auch dann wieder für sie da zu sein.

Als es dann schon hell wurde, fuhren wir eine weitere Stelle an und trafen an der Stelle, wo sonst ein Herr sitzt, viele junge Menschen an, so dass sich dieser Herr ein Stückchen weiter, vorne an die Straße stellte und versuchte wach zu bleiben und wenn er das nicht schaffe, ihn das Geländer festhielt, an dem er sich stützte, um vor lauter Müdigkeit nicht umzufallen.

Nachts passiert so sehr viel, da will und kann ich nicht schlafen – am Tag, wenn es dann sicherer wird, lege ich mich auf eine Bank und schlafe und das dann auch umso besser.

Als er mir erzählte, dass er nur ein halbes Jahr älter als ich bin, war ich fassungslos, denn ich hätte ihn locker auf 60 oder vielleicht sogar auf 70 Jahre geschätzt.

„Es ist Wahnsinn, was dieses Leben mit dir macht, wie sehr es dich altern lässt und was es dir alles nimmt und du kannst nichts dagegen tun, außer zu hoffen, dass du überlebst.“

Momente, in denen wir zum Mond schauen und des Resetknopf suchen aber nicht starten können, weil direkt daneben schon der nächste Herr stand, der sich über einen Kaffee freute und auch der junge Mann, der das 9,00 Euro Ticket nutzt, um mal aus Berlin in Wuppertal vorbeizuschauen und danach an die See fährt, um eine Freundin zu besuchen und dass wie allen anderen, denen wir helfen – obdachlos.

Unsere Eindrücke, die wir jede Nacht mit nach Hause nehmen, sind ergreifend, heiter aber auch oftmals wolkig und wenn wir dann nach Hause fahren und uns vorstellen, es sitzt dort oben auf dem Mond ein Männchen, dass über diese Menschen wacht, freuen wir uns das wir wieder einmal helfen durften und nun in Gedanken unsere Schicht an den Mann im Mond übergeben dürfen, der auf all die Menschen aufpasst, wenn wir am Tage schlafen und ihn dann in der Nacht wieder ablösen kommen.

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Der Bericht von Tanja und Andreas, die am Donnerstag auf Tour durch Hagen waren, werde ich Euch morgen im laufe des Tages posten, nachdem ich um 12:00 Uhr – also schon fast gleich, noch einen Termin wahrgenommen habe.