Ich wünsche allen Menschen ein besinnliches und friedvolles Weihnachtsfest

All die Menschen, die wir auf der Straße besuchen, all die, die täglich dazu kommen und all die, die wir schon lange kennen, all diese Menschen liegen uns am Herzen, denn sie sind sowas wie Freunde geworden und mit Freunden lacht man, weint man und macht sich auch Sorgen um sie.

Heute Nacht bin ich mit Martina noch einmal rausgefahren, bevor ich mir dann mal eine kleine Auszeit von ein paar Tagen nehme, um meiner Seele mal ein kleines bisschen Erholung zu gönnen, um Gedanken in meinem Kopf sortieren zu können und um neue Kraft zu tanken, damit es dann im nächsten Jahr mit Vollgas weitergehen kann.

Zugegeben sitze ich nun hier und finde irgendwie keine Worte, weil ich ein kleines bisschen ausgepowert bin aber auch nicht loslassen kann, wenn ich mir dann erlaube mal durchzuatmen und daran denke, dass die Menschen, denen wir auch heute wieder begegnet sind, gar keine Wahl haben zwischen Ausatmen und Weitermachen haben.

Sie müssen weitermachen, ob sie wollen oder nicht, sie müssen jeden Tag kämpfen, ob sie die Kraft dazu haben, oder eben auch nicht.

Sie müssen jeden Tag Vollgas geben, um den nächsten Tag überleben zu können.

Eine Wahl hat niemand von ihnen, zu mindestens keine die sie aus dem Moment, in dem sie gerade jetzt leben, entscheiden lässt, welcher Weg zurzeit der Beste für sie ist.

Denen, denen wir heute begegnetet sind, sie sahen anders aus, als wir sie kannten, mitgenommen, teilweise fertig, geschafft und erledigt.

Die einen noch in der letzten Woche erschreckend mager, diese Woche dafür fürchterlich aufgedunsen und das offenbar von Wasser Einlagerungen im Körper, doch um das tatsächlich festzustellen, bräuchte man einen Arzt, zu dem die Menschen aber nicht möchten, weil es ihnen, nach eigener Aussage, soweit ganz gut geht.

Wir aber finden, dass es ihnen in keinster Weise gut geht, wenn sie dann vor uns stehen und hibbelig vor uns von einem Fuß zum anderen hin tänzeln, zitternd den Becher Kaffee halten, wobei dieser kaum zu halten ist, weil die Flüssigkeit extrem heiß ist, sie es aber nicht mehr spüren.

Hibbelig, weil sie unter Drogen stehen oder unter einem entsetzlichen Druck, Drogen zu bekommen und sie die Entzugserscheinungen für diesen Augenblick an den Rand ihrer Kräfte bringen.

Hibbelig, weil sie nicht wissen wo sie heute Abend hinsollen, wobei sie erst letztens noch einen guten Platz hatten, der Wind- und Regensicher war, der ihnen durch andere obdachlose Menschen, die sich nicht benehmen konnten, dann aber weggenommen wurde und sie des Platzes verwiesen wurden.

Hibbelig, weil sie, auch wenn sie es nicht zugeben, an Weihnachten denken, an die Tage, an denen andere sich in den Armen liegen und das Fest der Liebe feiern, dass auch sie irgendwann einmal gefeiert haben, denn so wie sie heute leben, so hat keiner von ihnen, schon immer gelebt.

Kein Mensch ist als obdachloser Menschen geboren, jeder Mensch hatte irgendwann ein Mutter, vielleicht auch einen Vater, jeder von ihnen hatte eine Familie, sei sie vielleicht auch nicht die Beste gewesen aber jeder von ihnen hat seine Geschichte gelebt und jeder von ihnen weiß was Liebe, Weihnachten und Sinnlichkeit für wertvolle Momente sein können.

Hibbelig, weil die Gedanken ihnen in diesen Momenten einen Film vorspielen, den sie in dieser Situation, in der sie leben, nicht leben dürfen.

Und ich denke an ein paar Tage Urlaub, an Weihnachten, an das neues Jahr, an das was wir verändern werden, was wir geplant haben, was wir durchziehen werden, was wir auf unserer Agenda stehen haben und mit ziemlicher Sicherheit auch erreichen werden und das weil wir nicht davon träumen, sondern weil wir es schon immer so gemacht haben uns etwas vorzunehmen und das dann auch durchzuziehen.

Im Gegensatz zu den Familien, die zu Weihnachten vor keinem Weihnachtsbaum sitzen, keinen Entenbraten haben und keine Geschenke bekommen, die – die da unter einer Decke sitzen und sich vorstellen, wie es wäre, wenn es anders wäre.

Sowie auch der Mann auf unserem Bild, einer von vielen, die zu unseren Tabubrechern gehört, einer von denen, die uns unterschrieben haben, dass wir sie veröffentlichen dürfen, um der Gesellschaft zu zeigen, wer sie sind – um der Gesellschaft zu zeigen, dass sie ja eigentlich gar nicht so unsichtbar sind, um der Gesellschaft zu zeigen, dass sie leben, wie sie leben.

Er ist einer von ihnen, um den wir uns jeden Tag Sorgen machen, einer von denen, bei dem wir Angst haben, ihn irgendwann zu besuchen und er dann nicht mehr da ist, er ist einer von ihnen, der von etwas Besserem träumt und dem es augenscheinlich sehr schlecht geht, dem es nach seiner eigenen Aussage aber auch eigentlich irgendwie gut geht, er ist einer von denen, die das schon immer gesagt haben und er ist einer von denen, die Weihnachten auch schon anders erlebt haben und er ist einer von denen, die vielleicht diesen Kampf verlieren werden und er ist einer von denen, wo wir alle jeden Tag tief in uns dafür beten, dass vielleicht auch für ihn ein kleines Weihnachtswunder geschehen wird, sowie wie für viele andere Menschen auf dieser Welt, sei es, das sie obdachlos, arm, krank oder einfach auch nur einsam sind – wir beten für sie alle, dass sie diese Tage und viele weitere die noch kommen, heile überstehen werden.

Und ich mache mir Gedanken darüber den Koffer rechtzeitig zu packen und in Urlaub zu fahren, wobei mir das ehrlich gesagt schwerfällt, allein aus der Sorge heraus, das Team nicht stärken zu können, einer mehr zu sein – der nach ihnen schaut – einer der dann vielleicht fehlt, wenn irgendwem von ihnen dann doch etwas passiert.

Ich wünsche all den Menschen, die sich alleine fühlen, die obdachlos sind, die einsam oder krank sind – alles erdenklich Gute – irgendjemand wird immer da sein, der ein Augen auf Euch schmeißt, irgendwer ist immer da der an Euch denkt und es wir keinen Moment geben, der es wert ist – diesen Kampf, den jeder von euch führt – einfach so aufzugeben und ihn dann zu verlieren.

Ich wünsche allen Menschen ein besinnliches und friedvolles Weihnachtsfest