Meldetour
01:44 Uhr – die Nacht von Sonntag auf Montag
Ich liege auf der Couch. Links klebt der Rücken, rechts klebt das Bein. Ich überlege, wohin ich schwitzen soll – nach links oder doch lieber nach rechts? Die Entscheidung fällt auf’s Bett. Zumindest theoretisch. Denn genau in dem Moment, wo der Körper sagt: Jetzt aber, klingelt das Telefon.
Am anderen Ende eine junge Frau. Gestrandet irgendwo im Ennepe-Ruhr-Kreis. Sie hat bei Google nach „Obdachlosenunterkunft in der Nähe“ gesucht. Zwei Ergebnisse. Beide mit dem Hinweis „rund um die Uhr geöffnet“. Klingt ja erstmal vielversprechend – wäre es auch, wenn man dort jemanden erreicht. Beim einen ging keiner ans Telefon. Der andere Eintrag? Ja, das waren dann wohl wir.
Kleine Anmerkung an dieser Stelle – wir sind keine Obdachlosenunterkunft. Und auch wenn wir gerne helfen, begleiten, fahren, trösten, versorgen und manchmal auch einfach nur still da sind: Wir stellen keine Betten auf. Wir sind kein Heim. Wer sowas behauptet oder das bei Google einträgt, irrt – oder lügt. Da müssen wir wohl mal ein ernstes Wort mit Google sprechen.
Aber zurück zur Nacht.
Die junge Frau konnte glücklicherweise in einer benachbarten Stadt bei einer Freundin unterkommen. Also wurde UNSICHTBAR e.V. kurzerhand zum Nacht-Transportdienst. Einsteigen, losfahren, Umleitungen fluchen – aber sicher ankommen.
Ich meine, ein „Danke“ gehört zu haben. Vielleicht war es auch nur ein „Okay“. Vielleicht war es auch gar nichts.
Es fühlte sich ein bisschen so an, als wäre das völlig normal – mitten in der Nacht, fremde Menschen durch halb NRW fahren. Vielleicht ist es das ja auch. Zumindest für uns.
Auf dem Rückweg lief mir noch ein junger Mann über den Weg, den wir schon oft versorgt haben. Einer von denen, bei denen man im Winter manchmal nicht weiß, ob man sich traut, noch mal nach ihm zu suchen – aus Angst, ihn nicht mehr lebendig zu finden.
Aber heute Nacht sah er gut aus. Lebendig. Nicht so zerschlagen wie sonst.
Er wollte nichts außer Wasser. Sechs Flaschen, 1,5 Liter. Kein Schnickschnack.
Essen? Hatte ich keins mehr. Also Bockwurst im Brötchen geholt – und vor lauter Müdigkeit vergessen, mir eine Quittung geben zu lassen. Also: privat bezahlt. Passiert.
Jetzt ist’s fast hell. Das Bett ruft – zumindest für ein paar Stunden, bevor das Radiointerview ansteht.
Das war unsere Nacht. Vielleicht kein großes Drama. Aber irgendwie doch alles, worum es geht: Da sein. Tun. Helfen. Auch wenn’s nicht im Google-Eintrag steht.
Kommt gut in die Woche. Und wenn ihr mal nicht wisst, ob ihr links oder rechts schwitzen sollt – manchmal hilft’s, einfach loszufahren.