Grüße an Sabine und Jens. Grad von euch etwas gegessen.

Eine turbulente Nacht liegt hinter uns.
Es ist 5 Uhr am Morgen und ich bin gerade von unserer Nachttour zurück.
Es wurde schon hell und für die Vögel begann gerade der Tag.  Normalerweise schreibe ich den Bericht der Tour erst am nächsten Tag. Heute jedoch schwirrt mir das Erlebte der Nacht und auch des gesamten vorangegangenen Tages noch so im Kopf herum, dass an Schlaf nicht zu denken ist.
Es begann am Nachmittag mit unserer Feier anlässlich des Ehrenamtspreis NRW 2022. Wir trafen uns im Lager, jeder brachte was Leckeres mit und so entstand ein tolles, gemeinsam gestaltetes kaltes Buffett. Bei Musik, guten Gesprächen und auch viel Spaß, verflogen die Stunden geradezu. Wie das bei Treffen mit guten Freunden so ist. Schon beim Feiern, freut man sich auf das nächste Treffen im Kreise der Freunde.
Jens und ich packten im Anschluss das Vereinsauto und so brachen wir gut gerüstet zu unserer langen Samstagnacht-Tour auf.
Als erstes fuhren wir nach Wuppertal, um Ausschau nach einem Herrn zu halten, der bislang keinen festen Schlafplatz hat. Er schläft mal hier, mal dort, wo es ihm wohl spontan am besten gefällt und der Witterung angemessen ist. Er war bislang sehr zurückhaltend, aber je häufiger wir uns sahen, desto offener wurde er uns gegenüber. Von einem erst nur schnell entgegen genommenen kalten Getränks ohne jedes weitere Gespräch und mit viel Misstrauen dabei, sprach er gestern das erste Mal mit uns. Sehr leise nur und immer noch etwas misstrauisch. Und fast schon über sich selbst erstaunt. Er scheint bislang nicht viel Gutes auf der Straße erlebt zu haben. Gestern nahm er sogar eine Isomatte und einen TOM von uns an, zusätzlich zu Kaffee und Terrine. Auch wenn man es sich nicht vorstellen kann, auch das setzt Vertrauen voraus. Jens und mich hat es sehr gefreut, dass er sich nun schon so weit auf uns einlassen konnte und wir werden weiterhin mit viel Empathie und Fingerspitzengefühl probieren, Vertrauen aufzubauen. Als wir wieder im Auto saßen, sahen wir, wie er ganz erstaunt den Inhalt des TOMs vor sich auf der Mauer ausbreitete und sich freute.
Die Augen auf Hauseingänge und andere Überdachungen gerichtet, wobei ja Dr. Prof. Adlerauge Jens mit an Bord war und uns sowieso nichts entgehen konnte, fuhren wir einen uns bekannten Schlafplatz an. Dort konnten wir mit dringend benötigtem Verbandsmaterial helfen und dazu gab es noch was Süßes in Form von Saurem. Wir haben uns sehr gefreut zu sehen, dass es unserem guten Bekannten besser ging als bei unseren letzten Besuchen und so haben wir noch eine Menge mit ihm geredet und auch gelacht. Als wir gerade wieder weiter wollten, kamen zwei Herren auf uns zu und meinten, sie hätten die Aufschrift auf unserem Auto gesehen und ob wir auch ihnen helfen könnten. Sie hätten Hunger und würden sich so sehr über etwas zu Essen freuen und vielleicht auch etwas Kaltes zu trinken. Als wir ihnen die Terrinen zubereiteten, informierten sie sich ausgiebig über Unsichtbar e.V und erzählten uns von sich. Sie würden illegal im Keller eines Hauses wohnen und deshalb könnten sie uns nicht sagen wo, denn dann könnte jemand dort unser Auto sehen und auf sie aufmerksam werden. Aber sie würden nun, wenn sie nachts unterwegs sind, nach uns schauen. Auch Schlafsäcke nahmen sie dankbar an, da es doch noch in der Nacht kalt sei, so ohne alles. Der eine Herr erzählte uns sehr aufgeregt, er habe am Montagmorgen ein Vorstellungsgespräch als Hilfskraft im Garten- und Landschaftsbau und er würde so sehr hoffen, dass er angenommen wird. Er erzählte, dass er extra dafür schon saubere Sachen bereitgelegt habe. Er hätte noch eine große Bitte an uns, ob wir ihm vielleicht eine Terrine mitgeben könnten, die er sich dann selbst vor dem Vorstellungsgespräch zubereiten würde. Dann hätte er was im Magen und dann würde er das Gespräch besser durchstehen. Dieser Bitte konnten wir problemlos nachgehen und es gab zwei Terrinen zum Mitnehmen. Da kann dann beim Vorstellungsgespräch hoffentlich nichts mehr schief gehen. Zusätzlich noch unsere Karte mit der Telefonnummer, über die wir 24 Stunden zu erreichen sind. Als wir uns gerade verabschiedeten, kam noch ein Herr zu uns. Auch er benötigte einen Schlafsack und etwas Warmes, um den Hunger zu stillen und um gut über die Nacht auf der “ Platte“ in Wuppertal zu kommen.
Jens und ich fuhren weiter und unser nächster Stopp war schon nah. Ein Herr, den wir nun schon häufiger auf einer Bank sitzend vorfanden, empfing uns auch heute dort wieder. Bislang sagte er uns er sei nicht obdachlos. Er würde nur dort auf der Bank sitzen. So mitten in der Nacht und mit leerem Magen. In der heutigen Nacht erzählte er uns nun, dass seine Freundin ihn aus der Wohnung geworfen hätte. Wir wissen nicht, was vorher war, aber unsere Erfahrung hat uns gezeigt, dass oft auch eine Art Scham und Angst vor Stigmatisierung eine Rolle spielen zu sagen, ich bin ohne Obdach. Auch hier konnten wir mit Schlafsack und weiterem für eine angenehmere Nacht auf der Straße in Wuppertal sorgen.
Unsere Tour führte uns weiter zu unseren inzwischen guten Bekannten oder auch Freunden und diejenigen, die noch nicht schliefen, freuten sich uns zu sehen und nahmen dankbar eine Nachtmahlzeit und auch Kaffee und Kaltes entgegen. Bei denen, die nun schon schliefen, vergewisserten wir uns ob alles ok ist bei ihnen, um mit gutem Gefühl weiterzufahren.
Jens und ich hielten dann noch Ausschau nach dem Herrn, für den Holger und Jens vor einiger Zeit einen Krankenwagen gerufen haben und der einige Zeit im Krankenhaus verbrachte. Die Freude war auf beiden Seiten groß, als wir ihn antrafen. Bei Kaffee und heißer Suppe erzählte er uns, dass er am Montag bei einer Einrichtung einen Termin hat und er vielleicht dann ein Zimmer beziehen kann. Wir hoffen sehr für ihn, dass es klappt und er dann endlich nicht mehr auf der Straße leben muss.
Zwischenzeitlich kam ein Anruf von Holger, dass in Hagen unsere Hilfe benötigt wird. Holger bot sich an uns auf der Tour nach Hagen zu begleiten und so vereinbarten wir, wenn in Wuppertal alle versorgt sind, uns im Lager zu treffen, um dann gemeinsam nach Hagen zu fahren. Nachdem wir noch zwei weitere neue Gesichter antrafen, die sich auch über Essen und Getränke freuten, machten wir uns auf den Rückweg. Unser Weg führte uns noch an einem weiteren Wohnzimmer vorbei, wo wir noch nach dem Rechten sehen wollten. Der Herr schlief zwar schon, aber uns fiel eine Platzwunde an der Stirn auf und so weckten wir ihn vorsichtig, um sicher zu stellen, ob alles in Ordnung ist oder ob wir evtl. noch ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Der Herr sagte uns dann er wäre versorgt worden, würde aber gerne noch etwas essen und trinken. Nachdem wir auch ihn nun gut versorgt wussten, fuhren wir, wieder mit Blick nach rechts und links jenseits der Landstraße, zu unserem Lager.
Dort nahm ich dankbar Holgers Angebot an, nun das Steuer zu übernehmen. Der Tag war lang und die Nacht auch schon. Wir fuhren dann zu dritt nach Hagen zu der Meldung, konnten auch dort noch einer Dame die Nacht angenehmer gestalten. Auf der Fahrt ließen wir noch einmal alles Erlebte Revue passieren und sprachen darüber. Es tut immer wieder gut mit den lieb gewonnen Vereinskollegen über das, was so auf den Touren passiert, zu sprechen und auch mal eine andere Sichtweise zu hören. Wir fuhren dann auch in Hagen noch einige uns bekannte Plätze an und schauten, ob alle gut durch die Nacht kommen. Unsere Bekannten schliefen bereits und so fuhren wir noch etwas kreuz und quer durch Hagen, um evtl. noch auf andere Bedürftige zu treffen. Als wir alles so weit ruhig vorfanden, setzten wir zurück in Ennepetal noch Jens Zuhause ab und auch Holger und ich traten dann, am Lager angekommen, den Weg nach Hause an.
In der Zwischenzeit war auf dem Vereinshandy eine WhatsApp eingetroffen, von dem Herrn, der am Montag das Vorstellungsgespräch hat und den wir bis zur heutigen Nacht noch nicht kannten.
„Hallo, Dirk hier (Name geändert). Grüße an Sabine und Jens. Grad von euch etwas gegessen. Das tat gut. Vielen Dank und bis bald. MFG „
So schön!