In Gedanken an die am ganzen Körper zitternden Dame

Kein Wetter ist uns zu schlecht, wenn es darum geht, rauszufahren, um denen zu helfen, die unsere Hilfe brauchen.
Gestern fuhren Frank Rösner und Sabine Heile auf Tour – hier der Bericht von Frank und seine Sicht auf das, was sie erlebt hatten.
Etwas hat mich geweckt. Es ist dunkel. Ich merke, ich liege zu Hause in meinem bequemen Bett unter der warmen Decke. Ein Blick auf die Uhr zeigt, dass es kurz vor vier Uhr ist.
Was hat mich geweckt? Bei meinem nächtlichen Kampf mit meinem Hund um die Bettdecke hat dieser wieder zu viel von meinem Teil geklaut. Nicht viel. Aber so viel, dass an manchen Stellen kühle Luft eindringt.
Mir ist kalt. Dadurch bin ich wachgeworden.
Mir ist kalt? Mir kommen die Erinnerungen unserer Tour wieder in den Kopf.
Nein, mir ist nicht kalt. Ich liege in einem Bett, habe eine Decke, bin geschützt vor Wind, Schnee, Regen. Mir ist kühl. Nicht kalt.
Kalt war es vorher, kalt, feucht, nass. Regen, Graupelschauern, Schnee.
Die Fahrt, zu der mich Sabine abgeholt hat, ging zum Lager und dann nach Hagen, weil ein anderes Team da einem Herrn etwas versprochen hatte.
Und was man verspricht, muss man halten.
Also haben wir telefonischen Kontakt aufgenommen und das Gewünschte übergeben. Zusätzlich gab es noch eine heiße Suppe, einen Tee und Süßigkeiten. Der Herr war schon von dem ersten Kontakt vorher sehr von Unsichtbar angetan, war auch total nett und erzählte uns, dass er abseits in einem Zelt leben würde, Schlafsack und andere Dinge wären auch da, so dass er davon nichts brauchen würde.
Bei den Temperaturen im Zelt? Ja, es ist wasser- und schneedicht und schützt vor Wind und Blicken. Nicht ganz so komfortabel wie mein Schlafzimmer, aber schon ein eigenes geschütztes Reich.
Im Laufe des Gesprächs bedankte er sich und schenkte uns beiden jeweils eine Mandarine. Wenn er nette Leute treffen und von diesen sogar so viel geschenkt bekommen würde, dann würde er diesen Leuten auch gerne etwas schenken. Wir fanden das eine tolle Geste und haben uns sehr gefreut. Mit vielen lieben Worten und Wünschen wurden wir verabschiedet und wir brachen auf nach Bochum.
In Bochum sind wir ein paar Plätze abgefahren, haben aber niemanden angetroffen. Danach ging es zu einer Gruppe, die dem Nieselregen mit Humor Paroli bot, sich über heiße Speisen und Getränke und Süßigkeiten aber sehr freute. Wir denken, wenn der Körper sich gegen die Natur wehrt, dann helfen die Süßigkeiten, zumindest die Seele zu stärken.
Nach dieser Gruppe ging es dann zu der Gruppe, zu der auch unser Rollstuhlfahrer gehört, dessen Rollstuhl immer noch defekt und er somit nicht mobil ist. Vielleicht hat in Bochum da jemand eine Möglichkeit oder Idee?
Leider konnten wir nicht nah mit dem Wagen ranfahren, so dass wir eine Strecke zu Fuß gehen mussten, die „Bestellung“ und die Wünsche entgegennahmen, zurück zum Auto gingen und mit dem Gewünschten wieder zurück mussten.
Im Schnee-/Graupelregen mit stärkerem Wind tut es an den Händen schon sehr gut, wenn man Becher oder Terrinen mit heißem Inhalt tragen muss, die kalten Hände werden quasi zwangsgewärmt.
In den Momenten versteht man die Bedeutung solcher Mahlzeiten und Getränke für die Menschen, die draußen leben. Das ist ganz weit davon entfernt, wenn man nach einem Nachmittagsspaziergang reinkommt und denkt „Jetzt eine heiße Tasse Kaffee, Tee oder Kakao.“
Wieder bei der Gruppe angekommen, waren ihnen noch weitere Wünsche eingefallen, also die erste Charge abgeben und noch einmal zum Wagen wandern. Aber, wenn man nett gefragt wird, dann machen wir auch das.
Nachdem alle Wünsche, die wir so realisieren können, erfüllt waren, ging es zu unserem letzten Ort.
Durch die Tour über das Lager nach Hagen und unseren Wanderaufenthalt mit je dreimal hin- und hergehen ist uns die Zeit weggelaufen.
Diesen letzten Halt wollten wir aber auf jeden Fall noch machen. Und das war gut so. Wir hatten die richtige Eingebung.
Sabine hatte die Idee, wo wir zuerst suchen sollten, und tatsächlich fanden wir dort die Dame schlafend vor.
Es war drinnen, windgeschützt, aber zugig, es war nicht so kalt wie draußen.
Im Normalfall sprechen wir dann solche Personen an und, wenn sie sich nicht rühren, schauen wir nach, ob sie atmen und lassen sie dann weiterschlafen.
Hier hatten wir aber ein anderes Gefühl.
Die Dame lag, notdürftig mit einem Sommerschlafsack bedeckt, auf dem kalten Steinboden, so dass wir unsere Weckaktion fortsetzten. Irgendwann hörte sie uns und wurde wach. Nach einer kurzen Orientierungsphase erkannte sie uns und freute sich sehr.
Wir freuten uns auch, weil sie eine sehr höfliche und dankbare Dame ist, aber gleichzeitig fiel uns auf, dass sie am ganzen Körper zitterte.
„Ja, der ganze Tag war so nasskalt, mir ist kalt und ich friere so!“
Alles klar, kurz nachgefragt und los.
Mit einem heißen Kaffee, einer heißen Suppe, einer ISO-Matte und einem Winterschlafsack kamen wir wieder – und natürlich wieder Süßigkeiten.
Soviel Freude und Dankbarkeit, verbunden mit der mehrfachen Nachfrage, wie sie das wieder gut machen könnte, ist unbeschreiblich zu erleben.
Dafür fahren wir raus. Um den Menschen, die wenig haben, etwas zu bringen. In diesem Fall nicht nur greifbares, sondern auch das Gefühl, dass sich jemand um sie sorgt und kümmert.
„Wenn ich Ihnen das irgendwie zurückgeben kann, sagen Sie Bescheid!“.
Mit diesen Worten verabschiedete sie uns und wir ließen sie mit den wärmenden Getränken, Speisen und Ausrüstungsgegenständen zurück, mit dem Gefühl, dass wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren, und fuhren durch den Schnee nach Hause.
Kurz vor vier Uhr war mir kalt.
In Gedanken an die am ganzen Körper zitternden Dame habe ich mir geschworen, nie so leichtfertig mit solchen Begriffen um zugehen. Es war kühl, an wenigen Stellen. Und ich konnte es nach einem erneuten Kampf mit meinem Hund beenden, nachdem ich meine Decke wieder bekommen habe.
Dieses Glück und Privileg haben draußen auf der Straße ganz wenige. Das wurde uns wieder vor Augen geführt. Deshalb fahren wir immer wieder raus.