Die Straßentouren und die Sucht…

Karin schreibt…

Die Straßentouren und die Sucht…

Holger sagt: „Es macht süchtig. Irgendwann MUSST du raus.“ Mittlerweile ist es bei mir auch so weit. Natürlich brauchen wir unsere Ruhepausen und wenn ich 2 oder 3 Nächte nicht fahre, bin ich auch mal froh über eine Auszeit, um wieder in einen halbwegs

„normalen“ Rhythmus zu gelangen. Und es fahren ja andere. Aber immer wieder blitzen die Gedanken auf: ‚Geht es ihnen gut? Hoffentlich ist nichts passiert. Hoffentlich finden wir die wieder, die ihren Aufenthaltsort gewechselt haben.‘ Und wenn ich dann wieder die grüne Jacke anziehe und zum Lager fahre, dann bin ich froh, dass es wieder losgeht!

So wie heute. Holger ist bereits da und füllt die Thermoskannen mit Wasser. Wir haben kein besonderes Ziel, es ist auch keine Meldung reingekommen, so dass wir uns zunächst zu einer Erkundungstour entschließen.

Wir sprechen auf der Fahrt über viele Themen, u.a. darüber, ob man noch mal wieder jung sein möchte. Ich überlege laut: „Manchmal vielleicht… mal wieder 15 sein… nur die nächste Party im Kopf… kein Kopfzerbrechen über Strom- und andere Kosten machen – und wenig Gedanken um Menschen, die Hilfe brauchen…“ Aber diese Gedanken sind sehr selten und wir sind uns einig – ist schon ganz gut so, wie es ist, auf unsere Lebenserfahrung wollen wir nicht verzichten (wobei ich ein paar Jahre mehr habe…). Aber was ist die Alternative zu ‚keine Gedanken machen über laufende Kosten‘? Genau: Entweder hat man die Millionen auf dem Konto – oder lebt auf der Straße. Und dort überdeckt ein Gedanke alle anderen: Zu überleben.

Die Tour verläuft sehr ruhig, wir treffen nur 3 unserer bekannten Obdachlosen an unterschiedlichen Orten an. Keine Tour ist vergebens, ob wir einem obdachlosen Menschen helfen dürfen oder 35 – auch nur ein einziger ist eine Fahrt wert!

Wir treffen auch wieder auf „Rudi“, der obdachlose Herr, den ich auf einer der ersten Touren kennengelernt habe und dessen Lebensumstände und dessen Geschichte mich sehr nachhaltig berührt haben und dem ich einen fiktiven Namen gegeben habe. Es war alles so neu, so traurig, so fremd – einfach unfassbar.

Mittlerweile kenne ich so viele Menschen, deren Leben sich auf der Straße abspielt, kenne so viele Geschichten voller Traurigkeit, Verluste, Ängste, Hoffnungslosigkeit, Resignation – aber auch Geschichten voller Hoffnung, Pläne, Lebensmut. Holger sagt: „Du kannst sie nicht alle in dein Herz schließen.“ Vielleicht… aber ein Herz kann ganz schön groß sein…
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EHRENAMT BEI UNSICHTBAR e. V.
Das Ehrenamt bei UNSICHTBAR e. V. besteht nicht ausschließlich aus der Arbeit auf der Straße. Bring dich zum Beispiel in der Fahrzeugpflege mit ein, sortiere, packe und waschen und reinige regelmäßig unsere Fahrzeuge, denn auch das ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe.
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