Menschenunwürdige Zustände und tiefgründige Gespräche.

Menschenunwürdige Zustände und tiefgründige Gespräche.

Eine Tour die Sabine und ich heute mit Peter einem Anwärter, in die Nacht starteten.

Zuerst besuchten wir einen neuen Schützling, den wir noch nicht lange kannten. Hier kristallisierte sich wieder heraus, dass das Vertrauen sich erst langsam aufbauen muss. Er war sehr zurückhaltend und da er mich noch nicht kannte, jedoch Sabine, trat ich einen Schritt zurück. Es ist wichtig zu beobachten und zu sehen. Die Gefühle zu erkennen und zu handeln. Er fühlte sich sogleich sicherer und redete mit ihr. Zwar nur schleppend, jedoch auch wenige Worte können viel aussagen.
Wie respektieren ihre Wohnzimmer, ihren kleinen Bereich den Sie Ihr eigenen nennen.

Dann wurde erst einmal Kaffee geholt. Der ist schon fast zum Ritual geworden und wir nutzen die Zeit unsere Tour zu besprechen. Wo fangen wir an? Wen besuchen wir? Was ist wichtig?

Zuallererst ging es zu einer Meldung. Wir sollten jemanden treffen, leider war an dem Treffpunkt, trotz längerem Aufenthalt keiner erschienen.
Doch unser Auto wurde gesehen und sogleich kam ein uns Bekannter an und es dauerte nicht lange und schon der Nächste stand neben uns.

Es ist schon komisch, doch wir „Unsichtbaren“ sehen uns untereinander. Passanten laufen vorbei und es kommt selbst uns vor, als würden sie uns gar nicht wahrnehmen.
Wie muss sich wohl dann erst der Obdachlose fühlen?

Bei unserem nächsten Schützling hielten wir uns sehr lange auf, denn es gab Gesprächsbedarf. Er wollte nur etwas Saures und ein Gespräch. Es wurde schnell tiefgründig und es ist dann schwer ein Ende zu finden, man bleibt einfach stehen und hört zu.

An einer Mauer trafen wir einen besonderen Menschen. Warum besonders? fragt ihr euch sicher. Ja, er ist meist betrunken und hätte viel lieber als einen Kaffee eine Dose Bier. „Das führen wir nicht bei uns.“ sagten wir. Lachend und amüsiert erläuterte er uns die Vorzüge von Bier. Jedoch er ist deswegen besonders, weil er redet wie ein Wasserfall und lacht, sich freut und mit so wenig zufrieden ist.
Ein herzlicher Mensch für mich und auch hier hielten wir uns längere Zeit auf, denn wir sahen tiefer und merkten, dass er gerade jetzt, dieses herumalbern und lustige Gespräch brauchte.

Warum schreibe ich oben Menschenunwürdige Zustände?
Der nächste Schützling ist ein so lieber Mensch, verlangt nichts und freut sich über alles was er bekommt, als wäre es Gold.
Jedoch die Umstände unter denen er lebt, sind menschenunwürdig, doch er sieht es nicht.
Ein Fußbreit von seinem Schlafsack entfernt liegt ein Fäkalienhaufen. Der Geruch, für uns an der Grenze und er sitzt vor uns und lacht und freut sich. Wir beißen die Zähne zusammen scherzen und lachen mit ihm, reden und versorgen ihn. Doch in unserem Kopf herrscht das totale Entsetzen darüber. Wenn es nicht so wäre, dann wären wir abgestumpft und fehl am Platz. Wir schauen, sehen und wir fühlen. Denn wer möchte gerne neben einem Fäkalienhaufen Haufen schlafen?
Er erfreut sich an einer kleinen Dinosaurier Figur, die er besitzt, als wäre sie das Wertvollste was er hat. Wahrscheinlich ist es sogar so. Für mich und meine Teammitglieder menschenunwürdig, anders kann man es nicht bezeichnen.
In diesem Moment denken wir, an unsere Keramikschüssel zu Hause, in diesen extra Raum, dass wir Badezimmer und WC nennen.

Die Erkenntnis trifft uns. Was sind wir doch für reiche Menschen.
Wir Menschen jammern so oft über Nichtigkeiten und doch haben wir so viel mehr, wenn wir mal genau hinschauen.

Auch unser nächster Stopp brachte sehr intensive Gespräche mit sich. Auch hier öffnete man sich uns und redete und wir hörten zu.

Ein Neuling war neben ihm eingezogen, den wir auch noch nicht kannten. Er wollte gar nichts. Er hätte alles, sagte er. Doch hier merkte man wieder, das Miteinander auch auf der Straße möglich ist. Die Stimme im Hintergrund flüsterte. „Er braucht alles. Er hat nicht mal einen Schlafsack und er hat ein Handicap, bitte helft ihn.“
Er hätte noch zehn mal nein sagen können und trotz allem hätten wir einen Schlafsack und eine Isomatte zurückgelassen.

Kennen wir das nicht auch?
Es ist uns peinlich, in manchen Situationen, Hilfe anzunehmen oder zu sagen, dass wir Hilfe benötigen. Hier ist es immer gut, wenn ein Mensch in der Nähe ist, der sich für uns einsetzt.
Scham zu empfinden, ist keine Schwäche. Es ist ein Gefühl und Gefühle sind Stärke.

Eine Tour voller bewegender Momente, intensiver langer Gespräche und auch erschreckende, menschenunwürdige Bilder, die noch lange in uns nachwirken werden.

Doch wir fahren wieder hinaus in die Nacht und helfen im Hier und Jetzt.
Wir lächeln, denn egal was wir heute gehört und gesehen haben, war es eine sehr erfolgreiche Nacht-denn wir haben Menschen, die es dringend benötigten, die Hand gereicht und zugehört. Wir haben uns Zeit genommen und auch wenn normalerweise die Tour um 1 Uhr zu Ende sein sollte, stehen wir jetzt um 3 Uhr erst vor dem Bett.

Menschenunwürdige Zustände und intensive Gespräche.

Schau auch du hin und nicht weg.

Sag einfach mal Hallo und schenke ein Lächeln.