„Ist bei euch alles in Ordnung?“

„Ist bei euch alles in Ordnung?“, war eine Frage von Holger, der uns in der Nacht auf unserer Tour durch Wuppertal routinemäßig anrief, um dann in der Regel ein „Daumen hoch“ zu bekommen. Antwort diesmal: „Nichts ist in Ordnung!“.

 

Kurz zuvor hatten wir ihn entdeckt – den obdachlosen Herrn, der an einem belebten Platz frierend in einem Hauseingang kauerte. Er kommt aus Lettland und spricht nur wenig deutsch, aber auch ohne Sprache verstanden wir sofort. Wir versorgen ihn mit einem heißen Tee, einer Terrine, Schlafsack und Isomatte. Und dabei sahen und rochen wir es: eine dickflüssige Blutlache neben ihm und ein schrecklich intensiver süßlicher Gestank! Verteiltes Blut auch unter ihm, vermischt mit etwas, das wir nicht definieren konnten. Unser Magen meldete sich dann auch sofort und wir mussten beide erst einmal, einige Meter entfernt, tief Luft holen.

Währenddessen hörten wir das laute Schluchzen des kranken Herrn und immer wieder das Wort „Danke“.

Wir rissen uns zusammen, um weiter zu helfen. Ja…er habe Schmerzen im Bauch, aber nein… auf keinen Fall ins Krankenhaus. Eine Antwort, die wir ständig bekommen.

Es ließ uns aber keine Ruhe.

 

Dann kam Holgers Anruf und kurz darauf riefen wir die 112. Der Rettungswagen kam auch recht schnell und wir führten die beiden Sanitäter zu dem Herrn. Auf dem Weg beschrieben wir den Geruch, aber sie konnten ihn nicht wahrnehmen – Maske eben. Der Herr zeigte dann immer nur auf Schlafsack, Isomatte und auf uns. „Ja, die beiden Damen machen sich Sorgen um Sie. Haben Sie denn Schmerzen?“, so begann das kurze Gespräch. Der Herr schob alles beiseite und zog sein T-Shirt hoch: ein senkrechter, vernähter Schnitt vom Brustbein bis zum Bauchnabel. Dort habe er Schmerzen. Eine offene Wunde konnte niemand ausmachen, das Blut blieb ein Rätsel. Natürlich verneinte er die Einweisung in ein Krankenhaus auch weiterhin und so konnten die Sanitäter nichts ausrichten und verabschiedeten sich.

Uns half das recht wenig – die Sorge, die Ungewissheit und die Ohnmacht blieben.

 

Spät in der Nacht fuhren wir die Stelle noch einmal an. Er war nach wie vor ansprechbar und wir gingen mit dem Gefühl, dass er nun einigermaßen warm lag. Wenigstens das.

Wir werden auf der nächsten Tour sofort nach ihm sehen und hoffen eben…

 

Da war sie dann auch wieder auf dieser Tour: Die Grenze, an die wir so oft stoßen. Wenn jemand sich nicht helfen lassen will, dann sind wir machtlos. Und trotzdem bleiben immer Zweifel: Hätten wir noch mehr tun können?