Was

Träume die man in den Augen derer immer wieder zerspringen sieht, sind die, derer die auf der Straße leben und die wir, nachdem wir sie versorgt haben, dann fragen – können wir noch irgendwas anderes für dich tun?

Das sind die Momente, in denen man es ihnen in den Augen ablesen kann, Augenblicke die Sekunden dauern, in denen aus Sekunden – eine kleine Ewigkeit werden und dann in null Komma nichts, wieder in Schall und Rauch verschwinden.

Man kann es manchmal schon hören, wie gerne sie es sagen würden, es aber schon so oft gesagt haben, dass sie es schon selbst nicht mehr hören können, schon selber nicht mehr glauben, dass sie irgendwann einmal wieder vier Wände um sich haben, eine Heizung, ein Bett und ein Klo ihr Eigen nennen können.

Oftmals ist einfach schon viel zu viel passiert aber der Traum, vielleicht doch noch irgendwann wieder dort zu stehen, vor der eigenen Haustüre, den Schlüssel in die Tür zu stecken, reinzugehen, sich einen Kaffee zu machen und durchzuatmen, wenn man sich dann auf das Sofa setzt und dort einfach mal sitzen bleibt und entspannt.

Diesen Traum tragen sie alle in sich, doch bleibt es eben für viele immer nur ein Traum.

Die Angst davor es nicht zu schaffen, sich nicht an diese Wände, um einen herum zu gewöhnen, vielleicht etwas falsch zu machen, wieder falsch zu machen und immer und immer wieder, steckt bei vielen so tief, dass sie den Mut nicht aufbringen, den ersten Schritt zu gehen.

Und was passiert, wenn sie den ersten Schritt machen, was passiert wenn sie etwas falsch ausfüllen, was passiert, wenn sie abgelehnt werden, sowie sie jetzt von der Gesellschaft abgelehnt werden, was passiert, wenn sie auf eine Situation treffen, die sie an etwas erinnert, dass mit dem Leben zu tun hat, welches sie jetzt führen, was wird sein wenn man aus dem jetzigen Kreis heraustritt, eine andere Welt betritt und dann passiert etwas und man kann vielleicht nicht mehr zurück. Was passiert, wenn man dann nicht mehr aufgenommen wird, was wenn die Freunde, die man jetzt auf der Straße hat, dann nicht mehr da sind, was wenn sie für einen nicht mehr da sind, was wenn sie dann vielleicht keine Freunde mehr sind.

Das sind eine Menge an „was“ – wahrscheinlich zu viele „was“ wenn es darum geht eine Entscheidung zu treffen, die „vielleicht“ etwas verändern könnte, „was“ man sich doch eigentlich erträumt.

Vielleicht geht es auch dem alten Herrn so, der dort in dem Ladeneingang sitzt und das seit Tagen, sich nicht bewegt, sich vor Schmerzen krümmt und der sich nicht helfen lassen will, der medizinische Hilfe ablehnt und der sich unserer Ansicht nach bereits wund gesessen hat.

Ich habe es nicht gerochen aber Martina, die aus dem Pflegebereich kommt, ist dieser Geruch einmal durch die Nase gestiegen und das muss nicht schön gewesen sein. Vielleicht ist es gut, dass meine Nase, seit Wochen verstopft ist.

Er sitzt da in seinen eigenen Urin und Fäkalien und jeder der das jetzt liest und dem gerade jetzt in dem Augenblick der Kaffee wieder hoch kommt, kann sich vorstellen, was da vor Ort passiert, was dieser Mensch erträgt, der dort sitzt und sich schämt oder vielleicht auch nicht schämt, weil er es vielleicht auch gar nicht mehr mitbekommt.

Sicher sind wir uns da nicht

Worüber wir uns aber sicher sind, ist das dieser Mensch, wenn sich da nicht bald etwas tut, sterben wird – sterben an einem Ort, an dem in nächste Zeit Menschen an Glühweinständen stehen werden und sich auf das heilige Fest freuen, feiern und singen werden, sich den Geruch von Zimt, Anis und Spekulatius durch die Nase gehen lassen werden.

Wir sind uns sicher, dass hier ganz dringend Hilfe notwendig ist aber keine Hilfe geleistet werden kann, solange der Herr noch klar denkt – denn solange er das tut und er in diesem Augenblick auf eine medizinische Versorgung verzichtet, kann man ihn zu nichts zwingen.

„Was“ muss mit einem Menschen passiert sein, der sich vor Schmerzen nicht bewegen kann, „was“ ist ihm widerfahren, dass er sein Leben aufs Spiel setzt und „was“ auch immer nicht zu tun, um Hilfe anzunehmen.

Es sind diese viele „was“ die wir täglich von der Straße mit nach Hause nehmen, diese vielen „was“ die sich in uns reinbohren, die uns nachdenklich machen und auf die wir wohl niemals eine Antwort finden werden, denn „was“ tief in ihnen steckt, sehen die Menschen nur selbst und „was“ davon raus darf, über „was“ sie reden wollen und ob sie sich helfen lassen wollen, auch dass entscheiden einzig und alleine nur sie selber.