Freitag, 12.05.2023 – 18:20 Uhr – Ein Herz hört auf zu schlagen
Freitag, 12.05.2023 – 18:20 Uhr – Ein Herz hört auf zu schlagen
Manchmal werden wir gefragt, ob das was wir tun etwas mit uns macht und dann sage ich, dass ich vieles von dem, was ich erlebe, in eine kleine Schublade stecke, sie schließe und meinem Unterbewusstsein Zeit schenke, über all das nachzudenken.
Das sind Situationen, die ich zum Atmen brauche – denn jede einzelne Geschichte lässt mich verstehen und bringt mich auf weitere Ideen, etwas anzugehen, um mit meinem Team speziell obdachlosen Menschen helfen zu dürfen, die Hilfe brauchen.
Und manchmal erleben wir Momente, die einem Angst machen, dass sie dich erdrücken, dir die Kraft nehmen, überhaupt noch reden zu wollen, über all das, dass dir täglich begegnet und das sind dann nicht die Geschichten von der Straße, mehr sogar das Erlebte von und mit Mitmenschen, die dir ins Gesicht lächeln und wenn du dich umdrehst, dich belügen und dir ein Messer in den Rücken rammen wollen.
Das sind Situationen, die ich mir auch nicht mehr wegdenken kann und trotzdem jedem dafür dankbar bin, der mir sein Messerstich „in“ meinem Rücken hinterlassen hat und dazu noch seinen Namen netterweise da drunter geritzt hat.
Dankbar dafür, dass ich von jedem dieser Messerstiche lerne, mein Vertrauensgrad neu zu positionieren und vieles noch sensibler angehe, als wie ich es sonst schon tue.
Das wird zwar mit der Zeit anstrengend aber es sensibilisiert mich immer mehr und mehr noch mehr auf all die Stiche zu achten und damit beschäftigt zu sein, daraus zu lernen, dass nicht alle Menschen etwas Gutes in sich tragen.
Und manchmal dann komme ich nicht drum herum, dass Gefühl zu haben zu ersticken, an meinen eigenen Tränen, die mir das Gefühl geben, darin zu ertrinken, wenn ich dann an etwas erinnert werde, an das ich eigentlich gar nicht erinnert werden muss, weil es mich jeden Tag, jede Stunde, jede Minute und jede Sekunde begleitet, für etwas das es keine Schubladen gibt, für etwas das den größten Platz in mir trägt und das ist
in meinem Herzen.
Der Tod meines besten Freundes „Ben“
Und dann gibt es da diese Geschichten, in denen man eigentlich vor Glück hochspringen müsste, wenn sich dann eine Schublade öffnet und man erfährt, dass einer der Menschen, denen wir erst noch im letzten Jahr, in einem Wald begegnet sind, der dort mit seinen obdachlosen Freunden lebte, es jetzt mit eigener Kraft geschafft hat ein besseres Leben zu leben.
Das sind die Momente in denen ich mir sage, dass wir sehr viel richtig gemacht haben, weil wir für diese Menschen da waren und ihnen zugehört haben, sie aber letztendlich ihren Weg selber gehen ließen , damit einen ersten und sehr wichtigen Schritt in ein neues Leben zu gehen und diesen ganz alleine geschafft haben und dadurch die Kraft entwickelt haben, weiter zu gehen, weil sie es so gewollt haben und letztendlich
dann auch geschafft haben.
Und dann….
Bekomme ich von einem von Ihnen einen Anruf, dass er möchte, dass ich seinen Hund noch ein letztes Mal sehe, den Wauz ein letztes Mal streichele, diesem Wesen noch einmal in seine so schönen Augen blicke und er sich wünscht, dass der Hund und ich sich noch ein letztes Mal begegnen, weil er weiß, wie sehr ich an diesem außergewöhnlichen Tier hing, dass ein so schönes Wesen hat, dass sein Herrchen trotz Kälte und extremen Bedingungen auf der Straße zur Seite stand, weil er weiß das der Hund und ich irgendwo eine Verbindung hatten und er sich wünscht, so seinem Begleiter noch einen letzten Gruß mit auf den Weg zu geben.
Heute durfte ich Nora noch einmal in dem Arm nehmen, sie streicheln und ihr in die Augen schauen und heute bin ich noch einmal durch die Hölle gegangen, weil der Tod meines eigenen Hundes wieder viel näher war, als es mir eigentlich lieb gewesen wäre.
Doch konnte ich die Bitte nicht ablehnen, denn irgendwann sagten wir zu diesen Menschen, dass wir immer für sie da sind und auch heute war ich für einen dieser Menschen da um ihm den Wunsch zu erfüllen, seine geliebte Seelenbegleiterin noch einmal zu sehen, bevor er – sie dann auf Grund ihrer unheilbaren Krankheit und immer stärkeren schlechten Zustandes gehen lassen wird.
Das sind die Momente, in denen ich leise werde, kurz davor bin zu ertrinken und all die Schubfächer um mich herumfliegen sehe, gar nicht mehr stark sein will und mir ein visuelles Messer nehme, mir damit selbst in den Rücken steche und da drunter einritze, dass all das Leid, dass ich/wir erleben, all die Menschen voller Neid, die ihre Spuren hinterlassen haben, all das, was passiert, uns zu anderen Menschen werden lassen.
Zu Wesen die letztendlich leiden lernen, Neid verstehen und den Tod auf ihre ganz eigene Art und Weise verarbeiten und verstehen lernen.
Mach es gut du süßer und treuer Fellknäul, du liebes Wesen, dass mich immer so sehr an meinen eigenen Seelenhund erinnert hat, der genau wie du, so voller Liebe und Treue war, wie es ein Mensch wohl niemals werden kann.
Und dir mein Freund, der sie gehen lässt, wünsche ich unglaublich viel Kraft, um diesen Verlust zu verarbeiten und hoffentlich so stark zu bleiben, dass wir dich niemals mehr im Wald besuchen, kommen werden.
Heute um 18:20 Uhr wird Nora eingeschläfert und ich habe ihr erklärt, wie Ben aussieht und wie sie ihn erkennen kann, damit sie ihn dann im Hundehimmel direkt erkennen kann und nicht allein sein wird.
Lebe wohl du süße Maus