Anders!

Am Rosenmontag ging es für Jörn und mich auf Tour nach Wuppertal . Im Plan standen dazu noch die lieben Worte von Holger: „Passt gut auf euch auf, Karneval ist anders!“ Ja, anders war der Abend auf jeden Fall, denn zunächst begann er damit, dass wir an all den bekannten Orten niemanden mehr vorfanden. Ein Lager, das schon fast an eine kleine eingerichtete Wohnung erinnerte, war komplett leer geräumt. Wohin geht ein Mensch so plötzlich mit all seinen Sachen für die es eigentlich gar keinen Platz mehr gibt und die doch trotzdem viel zu wenig sind?
Anders ging es weiter. Mitten in der Fußgängerzone liegt ein Mensch auf einer Bank, ohne Schlafsack, ohne Schutz. Wir sprechen ihn an, er ist eigentlich im Tiefschlaf und dazu stark alkoholisiert. Er möchte nichts haben, das müssen wir akzeptieren.
Wir fahren weiter an das andere Ende von Wuppertal. Auch hier haben sich einige Menschen schon fast häuslich eingerichtet. Da steht auf einmal ein Tisch, an dem Karten gespielt wird, eine Situation, die so selbstverständlich und gleichzeitig doch auch wieder ganz anders wirkt, als sie eigentlich sein sollte. Einerseits tut es gut, diese Menschen zu sehen, wie sie die alltäglichsten Dinge tun, andererseits möchte ich mich nicht daran gewöhnen, diese Situationen als „normal“ wahrzunehmen. Es darf nicht normal sein, dass Menschen obdachlos sind. Sie sollten Karten spielen, Fotos oder Erinnerungsstücke aufbewahren und schlafen an Orten, die ein richtiges Zuhause sind. Orte, an denen es warm ist und die ihnen den nötigen Schutz bieten.
Doch all die Menschen, denen wir an diesem Abend begegnen, führen dieses andere Leben. Ein Leben, in dem sie sich mehr oder weniger gut eingerichetet haben und so häufig mit den einfachsten Dingen zufrieden sind.
Manchmal vielleicht zu zufrieden, falls das in den Situationen überhaupt möglich ist. Aber ich denke da an diesen Mann, der in der Nähe eines belebten Platzes im Schlafsack liegt. Er schläft, wir sprechen ihn an, sprechen aber leider nicht seine Sprache. Er möchte erst nichts, versteht aber dann das Wort Kaffee und nickt. Natürlich bekommt er auch noch einen Snack dazu. Ich sehe, dass er zittert. Jörn und ich wollen noch nicht aufgeben. Mit Händen und Füßen verständigen wir uns, bieten warme Socken an. Er möchte gerne eine Hose, die wir eigentlich nicht dabei haben. Als er aus dem Schlafsack klettert, sehen wir, dass seine Hose nass ist. Nein, nicht an der typischen Stelle, er hat sich wohl eher irgendwo reingelegt oder ein Getränk verschüttet. Egal, nass geht gar nicht, es ist so schon kalt genug. Also gibt es einen TOM und Thermounterwäsche. Ohne sich darum zu kümmern, dass der Ort um ihn herum noch ziemlich belebt ist, wechselt er sofort die Hose. So groß ist die Not. Und während er sich verhält, als wäre dies das Normalste der Welt, denke ich schon wieder an dieses „anders“. Auch wenn ich dankbar bin, helfen zu können, möchte ich einfach nicht, dass solche Situationen normal werden.
Und so verfolgt mich die Bedeutung von „anders“ irgendwie den ganzen Abend. Denn da ist auch noch die Geschichte von dem Menschen, den wir als nächstes treffen. Er ist in Wuppertal durch verschiedene Medien bekannt geworden und hat die Chance genutzt, auf uns aufmerksam zu machen, die Leute zum Spenden zu animieren. Sollte es nicht eigentlich andersherum sein? Er selber hat auch schon gespendet, findet es richtig, als Betroffener auch zu helfen. Ist doch verrückt, dass es oft diejenigen sind, die am wenigsten haben, die am meisten geben. So überrascht mich auch zum Ende Tour ein junger Mann mit der Frage, ob er nicht ehrenamtlich zwei Stunden am Tag helfen könne. Und während er diese Frage stellt, trägt er sein komplettes Zuhause in einem Rucksack auf seinem Rücken. Findet ihr das nicht irgendwie „anders“?
Sina