Blut, Blut, Blut

Blut, Blut, Blut – überall Blut, und es geht mir nicht mehr aus dem Kopf.
So viel Blut an einer Stelle habe ich schon lange nicht mehr gesehen, und wir gingen es im Auto gedanklich noch einmal durch – dieses Thema.
Stell dir vor, du schläfst unter einer Brücke – wenn man die Metalplatte, die keinen Meter über dir liegt, Brücke nennen möchte.
Eigentlich wäre mehr Platz als dieser eine Meter, doch der Müll, auf dem du liegst, auf dieser einen Matratze, die du irgendwo auf dem Müll gefunden hast und die eigentlich dort hingelegt wurde, weil sie niemand mehr haben wollte, weil sie, sowie du auch, einfach am Ende war.
Allein der Gedanke an diese Matratze fördert nicht sonderlich das Gefühl, dass sich einem der Magen nicht gleich umdrehen könnte.
Müllberge unter dir, soweit das Auge reicht und so vielseitig, wie Müll nur sein kann, trifft man hier nur ganz selten Ratten an – irgendwie habe ich das Gefühl, dass dieser Ort selbst einer Ratte zu dreckig ist.
Und dann gehst du einen Schritt näher, schaust noch einmal hin und entdeckst diese „Pfütze“ – was von der Größe her definitiv nicht untertrieben ist, was wir da gesehen haben – voller frischem, glänzendem, rotem Blut.
Es dauert nicht lange, und dein Kopf realisiert erst einmal, was er da überhaupt sieht und was bei dieser Menge alles passiert sein könnte.
Rüdiger schaute weiter, ob er an einer anderen Stelle etwas sieht, Karin drehte sich im Kreis, kann kaum fassen, was sie da sah, und ich schaue die Umgebung mit unserer Wärmebildkamera ab. Vielleicht und im schlimmsten Fall befand sich die Person ja noch in der Umgebung.
Stellt euch vor, ihr schlaft auf einem Müllhaufen, und würde man dabei irgendwas Gutes suchen, könnte man meinen, der Dreck unter dir hält dich warm, und diese Matratze, dich irgendwie fest, und dann der Augenblick, in dem du anfängst zu Husten, nicht mehr aufhören kannst, dich übergibst und anstelle von Schleim oder irgendwelchen Magensäften, spuckst du Blut und kannst nicht mehr aufhören. Du verblutest innerlich und liegst dann irgendwann an einem Ort, den Ratten meiden, weil er nicht dreckiger sein könnte. Du liegst da in deinem Erbrochenen, in deinen Körpersäften und deinem eigenen Blut.
Dann greifen zwei Hände nach dir, holen dich daraus, bringen dich ins Krankenhaus, und für die Gedanken, die wir uns darüber gemacht haben und die uns definitiv noch einige Zeit verfolgen werden, ist hier Ende. Und für die Person, von der uns später erzählt wurde, wie es war, als sein Freund dort blutend lag und wer den RTW gerufen hatte, ist es genauso schlimm, denn er ist derjenige, der keine 2 Meter neben ihm schläft und auch heute Nacht wieder dorthin gehen wird, um die Nacht dort zu verbringen.
Dorthin, wo all der Müll, der Dreck, und immer noch diese Matratze und das Blut liegen, um dort zu schlafen.
Wir durften heute 8, 9 oder waren es 11 oder 12 Menschen helfen!? Wie viele wir letztendlich helfen durften, ist eigentlich vollkommen zweitrangig – wie viele es dann waren, spielt auch keine Rolle. Es waren immer noch mehr als einer, und einer wäre immer noch zu viel dafür, wie diese Menschen leben „müssen“, wie sie Krankheiten ausgesetzt werden, in welchen dreckigen, absolut abartigen Umgebungen sie leben und dort vielleicht auch irgendwann sterben müssen.
Stell dir vor, du würdest dort liegen und nicht in deinem Bett, umringt von weichen Kopfkissen und einer warmen Decke. Stell dir vor…
All das ist so traurig, so aufwühlend, macht sprachlos und berührt einen aufs Tiefste, wird schlaflose Nächte mit sich bringen, dem Gedankenkino viele Bilder zufügen, so dass letztendlich ein ganz beschissener Film entsteht, den so niemand sehen möchte, den wir alle aber jede Nacht leben und hin und wieder auch dabei ein bisschen sterben.
Danke an Rüdiger, dass du dabei gewesen bist, dass du diese Tour mitgefahren bist, und du es mit deiner Art und Weise oft schaffst, dann doch einen Moment nicht so intensiv über all das nachzudenken. Zumindestens so lange nicht, bis man dann wieder alleine ist und die Gedanken den Kampf gewinnen und dir Erinnerungen schicken, die du eigentlich gerne vergessen würdest.
Danke, Karin, dass du auch dabei warst – diese Tour war deine zweite, und ich würde mich freuen, wenn weitere folgen würden. Und auch dir möchte ich danken, dass du da warst, wenn es laut wurde, und auch da warst, als es für den Augenblick still wurde.
Danke an alle, die mit UNSICHTBAR e.V. das tun, was wir tun.
Na, ihr wisst schon – Helfen im Hier und im Jetzt – wenn auch manchmal die Seele leidet, das Herz blutet, und die Gedanken keinen Feierabend bekommen.
Danke