Dauerregen…

Hasst ihr auch diese Dauerregentage?

Ich (Karin) ebenfalls. Und eigentlich ist das Sofa doch soooo gemütlich… Und dann habe ich exakt das gedacht, was Susanne S. später formulierte: Ich fahre jetzt los, verlasse ein warmes, trockenes Auto nur, wenn es Menschen gibt, denen ich helfen kann, ann fix wieder ins Trockene, nach einer mehrstündigen Tour nach Hause und wieder ins Trockene… Und dann ist es gar keine Frage: Selbstverständlich fahren wir unsere Tour. Was sonst!?!

Zunächst noch kurz ein Ereignis vor der Tour: Bevor ich Susanne abhole, um zum Lager zu fahren, kaufe ich noch schnell ein. Vor dem Supermarkt sitzt ein Obdachloser, ich kenne ihn nicht. Verhaltener Blickwechsel – er hofft, ich denke: `Warte kurz‘. Neben meinem Einkauf besorge ich noch Wasser und Eistee, in der Bäckerei möchte ich ein belegtes Brötchen. „Wenn Sie 2 Minuten Zeit haben, mache ich Ihnen ein frisches.“ – Das Brötchen sieht einwandfrei aus und Susanne wartet. Und ich habe eine Idee: „Nee, eigentlich nicht – ich möchte das Brötchen für einen obdachlosen Herrn, der vor dem Geschäft sitzt“ – „Oh – dann mache ich Ihnen einen Sonderpreis!“ – Super. „Ich packe noch ein 2. Brötchen ein, das ist dann von uns.“ – „Vielen Dank!! Und eine Rosinenschnecke bitte.“ – „Ist die auch für den Herrn?“ – Ich bestätige. „Dann mache ich noch einen Sonderpreis.“ – Ich zahle 2 €, als Privatperson. So einfach kann Hilfe sein…

Am Lager packen wir – Holger, Susanne und ich – den Kangoo, schimpfen einträchtig über das Wetter, Susanne packt noch schnell Regencapes ein, die wir bei so einem Schietwetter auch ausgeben.

Wie erwartet sind wenige Menschen unterwegs – sowohl Menschen ohne als auch Menschen mit einem Zuhause. An einer Bushaltestelle sehen wir einen Herrn, der vorne übergebeugt in einem Rollstuhl sitzt. Nicht in der überdachten Bushaltestelle, sondern dahinter – im Regen. Wir überlegen kurz: Hat er sich „abgeschossen“ oder sollen wir lieber nach ihm sehen? Wir drehen eine weitere Runde, fahren zurück zu ihm – die Haltung ist unverändert, wir schauen besser mal nach. Susanne und ich steigen aus, Holger parkt den Kangoo. Susanne und ich erkennen ihn: Wir haben ihn vor kurzem mit einer Bekannten in einem entschieden besseren Zustand gesehen. Sein Hoody ist völlig durchnässt, er hockt vorne am Rand seines Rollstuhls. Wir helfen ihm, sich richtig hinzusetzen, schieben ihn in die Haltestelle, so dass er im Trockenen sitzt. Den Hoody will er absolut nicht ausziehen, also helfen Susanne und ich ihm in das Regencape, Holger kommt mit Kaffee, Terrine, Wasser, Eistee, Schokolade. Wir versuchen herauszufinden, wie er hergekommen ist, ob wir weiter helfen können. Er versucht, uns etwas zu erzählen, aber er ist sehr schlecht zu verstehen. Wir signalisieren, dass wir Zeit für ihn haben – vergebens. Er war auch beim 1. Treffen schwer zu verstehen – vielleicht hat er ja mal einen Schlaganfall gehabt? Er kippt immer wieder nach vorne, Susanne sagt eindringlich, er möge doch wachbleiben und den heißen Kaffee trinken, was Warmes tue ihm jetzt gut. Ich halte ihn an der Schulter fest, damit er besser trinken kann. Holger gibt ihm die Terrine, den Rest packe ich in die Tüte, die an seinem Rollstuhl hängt. Wir fahren noch eine Runde, schauen wieder nach ihm – er ist nicht mehr da. Wir fahren rum, suchen ihn – ohne Erfolg. Immer mal wieder tun sich 2 oder mehr Menschen für eine kurze Zeit zusammen, passen ein bisschen aufeinander auf, gehen ein kurzes Stück gemeinsam durch ihr Leben, um dann wieder allein weiterzugehen. Wir gehen davon aus, dass jemand – vielleicht seine Bekannte von neulich – ihn abgeholt hat.

Wieder zurück im Kangoo schaue nachdenklich in den Regen, der jetzt zumindest ein bisschen nachgelassen hat. Holger kann manchmal Gedanken lesen und versichert mir, dass ich unmöglich die ganze Nacht bei dem Herrn im Rollstuhl hätte bleiben können. Ich weiß wohl, dass unsere Hilfe Grenzen hat – aber manchmal ist es schwer, sie einzuhalten.

Wir treffen noch wie so oft auf Menschen, die keine Hilfe brauchen oder möchten, aber auch auf viele, die sich bei dem nasskalten Wetter über etwas Warmes freuen und auf einen Herrn mit Stoffschuhen, der sich über feste Schuhe freut.

Die Tour ist zu Ende. Susanne und ich reflektieren auf dem Heimweg das Geschehene, das letzte Stück fahre ich alleine. In ein trockenes, warmes Zuhause.
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